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Sylt NaturReporter im Interview mit Le Figaro zu Ausbauplänen von Offshore-Industrie der Ampel in Nordseegewässern

Sylt/Berlin/Paris
Inselbewohner, Naturschutzverbände und gewählte Umweltschützer prangern die ungebremste Ausbreitung von Windkraftanlagen im Meer an.
Unser LeFigaro-Reporter Pierre Avril berichtet von Sylt

Erschienen am 8.12.2021 in Le Figaro


Von der Westküste der Insel Sylt aus sind die achtzig Windräder des Windparks Butendiek nur an klaren Tagen zu sehen.- Und das war am Donnerstag, den 1. Dezember der Fall, als ein kräftiger, eisiger Nordwind die Wolken vertrieb und dreißig Kilometer in der Ferne eine geradlinige Abfolge von Pfeilern und Windmühlenflügeln sichtbar wurde.

In dem Naturparadies Sylt, der nördlichsten Insel Deutschlands, die mit der Fähre erreichbar ist, stört dieser industrielle Anblick nur minimal den Charme der Insel, dennoch bewegt das einen Teil der 18.000 Einwohner.


„Die Windenergiebranche in Deutschland ist auf der Suche nach neuem Schwung.


Von seinem Haus aus läuft Lothar Koch nur drei Minuten, bevor er sich täglich frühmorgens in die Wellen der Nordsee stürzt. Dabei ignoriert er die vertraute Skyline. Der örtliche Naturschutzaktivist und Sprecher der Grünen gibt jedoch zu, dass diese Windkraftanlagen, mit denen seine neuerdings regierenden Freunde das Meer in Massen zupflastern wollen, ein wichtiger Grund dafür ist, dass er neulich gegen den Koalitionsvertrag gestimmt hat. „Das ist zu gefährlich, das muss gebremst werden“, meint Lothar Koch.

Dass ein Umweltaktivist seine Partei abstraft, weil sie zu viele Windräder gegen die globale Erwärmung aufstellen will ist nicht banal. Sein Verhalten veranschaulicht „das tiefe Dilemma“, in dem sich die Umweltschützer nach der Lektüre des Koalitionsvertrags befinden, der wiederum weitgehend von den grünen Verbündeten inspiriert wurde. Die Regierung kündigte an: „Wir werden die Produktionskapazitäten für Offshore-Windenergie erheblich ausbauen“.Das bedeutet eine Mindestproduktion von 70 Gigawatt im Jahr 2045, zehnmal mehr als die derzeitige Kapazität, verteilt auf die Nord- und Ostsee.

Lothar Koch und seine Freunde haben schnell ausgerechnet, dass in 20 Jahren auf den beiden Meeren, die an Deutschland grenzen, 14.000 Windräder stehen werden, während es Ende 2019 nur 1469 waren. „Die gesamte Nordsee wird dann voller Windkraftanlagen sein und bis 2045 eine ewige Baustelle bleiben“, sagt Koch.
Der Aktivist, der von Beruf Biologe ist, befürchtet, „dass Räume für geschützte Arten verschwinden“. „Die öffentliche Meinung ist sehr sensibel was das Thema globale Erwärmung angeht, da ihre Auswirkungen sichtbar sind, aber sehr wenig für das Aussterben der Artenvielfalt. Dabei sind diese beiden Phänomene eng miteinander verbunden“.


Sieben neue Windkraftanlagen pro Tag


Butendiek ist einer von dreiundzwanzig Windparks, die im Namen der Förderung erneuerbarer Energien im deutschen Teil der Nordsee errichtet wurden. Um die Klimaziele zu erreichen, die auf der Konferenz in Glasgow bestätigt wurden, hat Deutschland nach dem Ausstieg aus der Atom- und Kohlekraft keine andere Wahl, als die Windkraft zu verdoppeln: Laut dem Magazin Stern sind das sieben neue Windräder pro Tag!


Vor Sylt haben sich die Rotorblätter in die Landschaft einigermassen eingefügt. Doch die kontroverse Geschichte der Baustelle könnte wie ein Lehrbuchbeispiel auf eine der größten Herausforderungen der Koalition hindeuten. Die Insel liegt im Wattenmeer, das seinerseits seit 2009 zum UNESCO-Weltnaturerbe gehört und das größte Naturschutzgebiet des Landes (4400 km²) ist. Die Windkraftanlagen von Butendiek befinden sich in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone und wurden 2003 für den Bau zugelassen.
In jenem Jahr beeilte sich der grüne Umweltminister der Regierung Schröder, Jürgen Trittin, dem Projekt grünes Licht zu geben, obwohl er wusste, dass sich das rechtliche Fenster ein Jahr später wieder schließen würde: Der Windpark befindet sich heute in einem Vogelschutzgebiet, in dem vor allem Gaviiden leben, eine Familie von Tauchvögeln, die lange Zeit über der Wasseroberfläche schweben, bevor sie nach ihrer Beute unter Wasser tauchen.

Im Jahr 2004 wurde das Sylter Riff zum Vogelschutzgebiet erklärt. Auch Schweinswale und Kegelrobben, die am oberen Ende der Nahrungskette stehen, halten sich in dem Gebiet auf. Im Sommer wagen sich die Säugetiere zur Freude der Touristen ganz nah an die Stände heran.


Biologen zufolge hat sich die Population der Nordseeschweinswale, die derzeit im deutschen Gebiet rund 23.000 Tiere umfasst, in den letzten 20 Jahren aufgrund der Kombination aus Windkraftanlagen und Fischerei um die Hälfte verringert. Der große deutsche Naturschutzverband NABU ließ sich auf einen langen und kostspieligen Rechtsstreit ein, der im Mai 2021 mit einem Pyrrhussieg endete. Das Verwaltungsgericht Hamburg machte den Weg frei für einen Betriebsstopp des Windparks, falls die Schädigung des Lebensraums der Gaviiden dokumentiert werden sollte.

Die wahren Hoffnungen des Vereins hängen nun von einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ab. „Windenergie trägt zur Energiewende bei, und wir unterstützen diesen Prozess, aber nur, wenn das Augenmaß gewahrt bleibt“, sagt Kim Detloff, Meeresschutzexpertin des NABU. Der Verband schätzt, dass die Zahl der Tauchvögel infolge des Baus der in der Nordsee errichteten Windkraftanlagen um 30 % zurückgehen wird.

Auch Hochseefischer und die Gemeinde Sylt haben gegen den Windpark geklagt. Die sehr exklusive Gemeinde Kampen, in der Villen zu hohen Preisen verkauft werden und Luxusboutiquen neben großen Autos zu finden sind, wurde vor dem Verfassungsgericht abgewiesen.
Im Nachbarort Sylt, der als Hauptstadt fungiert, befürchtet Bürgermeister Nikolas Häkel, dass dieses kleine Paradies, das ausschließlich vom Tourismus abhängt, durch die Windkraftnutzung verschmutzt werden könnte. „Unsere größte Sorge gilt weniger den Vögeln als vielmehr dem Schiffsverkehr, der durch diese Projekte verursacht wird, und dem Risiko, dass Öl an den Stränden ausläuft“, erklärt der Politiker.

Die Umweltschützer kritisieren auch den ständigen Verkehr von Schnellbooten, die von der dänischen Grenzinsel Römö aus Wartungstechniker zu deutschen Windparks bringen, was Meeressäuger vertreibt.


„Ein Science-Fiction-Projekt“ in der Nordsee


Im Gegensatz dazu setzt die winzige Nachbarinsel Helgoland auf den Windkrafttourismus und bietet „grüne“ Ausflugstouren zu den Parks an. Katja und Sonja, ein befreundetes Paar aus Hamburg, sind von den Werbeprospekten der Tourismusagenturen angetan. „Sicherlich kann das Versenken von Rohren im Meer schädlich für Schweinswale sein, und die Aussicht ist auch nicht so toll. Gleichzeitig bilden diese Masten einen neuen Lebensraum für Muscheln und Krebse. Was die Zugvögel angeht, so haben wir auch welche, die gegen unser Fenster fliegen“, verharmlosen die beiden jungen Frauen, die am Strand spazieren gehen, Windkraftanlagen verteidigen und bei den Wahlen für die Grünen gestimmt haben.


Auf der anderen Seite des Spektrums sind die Windkraftunternehmen in widersprüchlichen Anordnungen gefangen. Die verschiedenen Klagen gegen Butendiek haben zusammen mit den Problemen der Aktionäre dazu geführt, dass sich der Baubeginn um zehn Jahre verzögert hat. Neben den Klagen von Umweltschützern und Anwohnern macht dem niederländischen Konzern Tennet, dem alleinigen Betreiber von Offshore-Stromverbindungen in Deutschland, die dezentralisierte deutsche Bürokratie zu schaffen.


Das sehr windige, von der Nordsee umspülte Bundesland Schleswig-Holstein ist ein beliebter Ort. Der ehemalige Landesumweltminister Robert Habeck, heute Klima- und Wirtschaftsminister in der Regierung Scholz, gilt als Verbündeter der Unternehmen der Branche.
Tennet erwartet viel von den neuen Behörden, ohne sich Illusionen zu machen. „Wir werden aufgefordert, in der Hälfte der Zeit doppelt so viel Infrastruktur aufzubauen. Um das zu erreichen, müsste die Planungsdauer für die Arbeiten auf vier Jahre reduziert werden, plus vier Jahre für die Umsetzung. Derzeit werden jedoch allein für die Planung zehn Jahre benötigt. Der Prozess, Kompromisse zu finden, muss beschleunigt werden“, plädiert ihr Sprecher Mathias Fischer.

Mit sehr vagen Aussagen zur Umsetzung, gibt der Koalitionsvertrag lediglich „Windkraftanlagen Vorrang“ bei der maritimen Nutzung und betont die Notwendigkeit, „miteinander verbundene“ Unterwassernetze zu bauen. Das Bundesumweltministerium bestreitet, dass es Schwierigkeiten gibt. Das Landesministerium von Schleswig-Holstein ließ seinerseits die mehrfachen Anfragen des Figaro unbeantwortet.


„Wir müssen Lösungen finden, denn es macht uns keinen Spaß, vor Gericht zu gehen. Leider zeigen die Politiker sich als zu feige, bedauert NABU-Experte Kim Detloff, der aber nicht kapitulieren will.
Ein Beispiel: Das Unternehmen Tennet plant heute in der Nordsee, 120 Kilometer vor Sylt, eine gigantische Plattform zur Anbindung von Windenergie-Stromtrassen zu bauen. Die NGO kritisiert dieses „Science-Fiction-Projekt“, das mit den Projekten der Golf-Emirate vergleichbar ist und ihrer Meinung nach „das Ökosystem der Nordsee umwälzen wird“ ….

Parteien bringen Antrag auf Elektrifizierung der Marschbahn in Kreistag ein

In Einigkeit bringen Grüne, CDU und FDP folgenden Antrag in den Kreistag ein, der endlich die Dieselverschwendung auf der Marschbahnstrecke zwischen Itzehoe und Westerland beenden soll. Technische Hürde ist dabei der Nationalpark Wattenmeer: Oberleitungen könnten den Zugvögeln gefährlich werden.

Die Kritik an der Dieselstrecke war Thema auf der Sylter Klima-Demo in 2019

Beratung und Beschlussfassung über eine Resolution an die Landesregierung Schleswig-Holstein zur durchgehenden Elektrifizierung der Marschbahn

Der Kreistag möge über folgende Resolution an die Landesregierung beraten und beschießen: Der Kreis Nordfriesland bittet die Landesregierung, derart auf den Bund einzuwirken, dass – unter Beachtung der Naturschutzverträglichkeit im Wattenmeer – die Planungen für eine durchgehende Elektrifizierung der Marschbahn sofort aufgenommen und die Umsetzung vorangetrieben wird. Um zusätzliche Streckensperrungen zu vermeiden, geschieht dies optimalerweise parallel zum zweigleisigen Ausbau.

Begründung:

– Fachleute der Deutschen Bahn haben zu erkennen gegeben, dass die Beschaffung von Diesellokomotiven immer schwieriger wird. Mit einer Einstellung der Produktion in Deutschland ist in absehbarer Zeit zu rechnen. Eine Umstellung auf Elektrotraktion ist daher unumgänglich.

– Eine Elektrotraktion verhindert Ruß- und CO2-Ausstoß vor Ort und hilft damit, die Klimaziele von NF zu erreichen. Allein auf der Strecke Niebüll-Westerland mit dem Syltdamm durch das Weltnaturerbe Wattenmeer können auf diese Weise 5 Millionen Liter Diesel, verursacht allein durch die Autozüge, jährlich eingespart werden.

– Elektroloks benötigen für gleiche Leistung weniger Energie und sind deshalb wirtschaftlicher.

– Aufgrund der zu erwartenden Kosteneinsparungen beim Umstieg von der Diesel- auf die Stromversorgung amortisiert sich die Umrüstung auf Elektroloks zeitnah.

– Durch erhöhte Beschleunigungswerte von E-Lokomotiven sind zusätzliche Unterwegshalte bei gleicher Taktung möglich. Die Attraktivität des SPNVs lässt sich dadurch erhöhen.

– Durch eine Elektrifizierung könnte die Marschbahnstrecke mehr touristische und für die Verkehrswende wichtige Personenfernverkehrsverbindungen (ICs) erhalten, deren Zahl im Vergleich zu anderen touristischen Regionen derzeit deutlich zurück bleibt.

– Es steht elektrische Energie in unserer Region ausreichend zur Verfügung.

Für die Fraktionen

Frank Petersen Esther Drewsen Jörg Tessin

(CDU) (B90/Grüne) (FDP)

Welterbe Geburtstag mit immer weniger Wattvögeln

Naturschützer besorgt um Fortbestand des Weltnaturerbes Wattenmeer 

Seit zehn Jahren ist das grenzüberschreitende Wattenmeer von den Niederlanden bis Dänemark durch die UNESCO als Weltnaturerbe anerkannt. Naturschützer sehen anlässlich des Jubiläums am 26.06.19 trotz vieler Erfolge gravierende, ungelöste Probleme in dem Ökosystem.

„Wir freuen uns sehr, dass unsere Region seit 2009 in einem Atemzug mit der Serengeti oder Yellowstone genannt wird, leider ist dieser einmalige Naturraum aber in seiner Existenz gefährdet“, sagt Harald Förster, Geschäftsführer der Schutzstation Wattenmeer.

Die größte Bedrohung ist nach Einschätzung der Naturschützer der Klimawandel: Großflächige Wattgebiete können schon in wenigen Jahrzehnten mitsamt ihrer Tier- und Pflanzenwelt für immer verschwunden sein, wenn keine Trendwende erreicht wird. „Neben den allgemeinen Anstrengungen zur CO2-Vermeidung muss auch die Wattenmeer-Region ihren Beitrag leisten und endlich klimaneutral werden“, fordert Förster. 

Die negativen Folgen anderer ökonomischer Einflüsse auf das Wattenmeer seien ebenfalls nicht zu übersehen. 40 Millionen Tagesgäste mit all ihren Auswirkungen besuchen jährlich das Wattenmeer und eine weitere Steigerung ist zu erwarten. „Auf Dauer muss sich der Tourismus nachhaltiger entwickelt“, sagt Förster. Erste gute Ansätze sieht er in der Entwicklung von integrierten Angeboten für den öffentlichen Nahverkehr, wie sie derzeit in Nordfriesland und Dithmarschen in der Planung seien. Auch müssten die Wattenmeerhäfen verstärkt in eine nachhaltige Wirtschaftsweise investieren.

„Schädliche Eingriffe in das Ökosystem Wattenmeer sind konsequent zu vermeiden“, fordert der Schutzstation-Geschäftsführer. So passe die nach wie vor bestehende Förderung fossiler Rohstoffe im Wattenmeer nicht zu einem Welterbegebiet. Er begrüßt die Überlegungen, in den Niederlanden aus der Erdgasförderung im Wattenmeer auszusteigen.  

Sorge bereitet den Wattenmeer-Schützern die Bestandsentwicklung bei vielen Küstenvogelarten, wie beispielsweise dem Knutt. Der Bestand dieses typischen Zugvogels hat sich in wenigen Jahrzehnten im Wattenmeerraum nahezu halbiert. Begrüßenswert sei die „Flyway- Initiative“, die durch eine enge Zusammenarbeit mit westafrikanischen Staaten den Schutz der dort überwinternden Zugvögel verbessern soll. Im Wattenmeerraum selber sieht er noch viele Aufgaben: „Europäische Vogelschutzgebiete müssen stärker geschützt sowie Einträge durch die Landwirtschaft in die Marschgebiete vermieden werden“, sagt Förster. Die Naturschützer fordern die Einführung eines konsequenten Prädationsmanagements und eine nachhaltige Reform der Landwirtschaft in den Marschgebieten mit einem Pestizidverbot im Nationalparkgebiet.

„Für die nächsten zehn Jahre gibt es genug zu tun“, resümiert der Geschäftsführer der Naturschutzgesellschaft, damit der Fortbestand dieses einmaligen Naturraums auch für kommende Generationen gesichert ist.

Pressemitteilung der Schutzstation Wattenmeer e.V.

Naturschutz auf Sylt, Folge 6: Der Nössekoog – das grüne Herz von Sylt

Nössekoog Übersicht

In einer Serie stellt die Naturschutzgemeinschaft Sylt und die Söl’ring Foriining das Thema „Natur auf Sylt“ in seiner ganzen Bandbreite in der Sylter Rundschau dar. Erschienene Artikel werden auf natuerlichsylt.net veröffentlicht und archiviert. Es werden Institutionen und Vereine vorgestellt und auch  Menschen, die sich für die Sylter Natur einsetzen.

In der sechsten Folge gibt Dr. Thomas Luther, Vogelexperte und Augenarzt auf Sylt,  einen Überblick über die Entwicklung des Nössekooges (Tinnumer Wiesen).

 

 Von Tränkekuhlen, freiem Horizont und Kampfläufern

„Lasst uns zu den Kampfläufern fahren!“ – Früher haben viele Sylter ihre Kinder eingepackt und sind in die Wiesen zwischen Tinnum und Morsum gefahren, um im Frühjahr ein ganz besonderes Schauspiel zu beobachten: das Balzturnier des Kampfläufers. Hier lieferten sich auf den feuchten Wiesen zwischen Wollgrasbulten die ganz verschiedenfarbigen Männchen mit aufgestellten Halskrausen einen wilden Kampf um die Weibchen. Es flogen die Federn, als in hoher Geschwindigkeit gesprungen, ausgewichen und umherstolziert wurde. Leicht war es, diese Turniere mitzuerleben, da sich die Vögel auf den immer gleichen traditionellen Plätzen einfanden.

Kampfläufer

Das ist nun schon dreißig Jahre her, dass hier der letzte Kampfläufer seine Jungen aufzog, er ist inzwischen in Deutschland als Brutvogel fast komplett ausgestorben. Dennoch ist der Nössekoog noch immer ein sehr bedeutendes Brutgebiet für andere bedrohte Wiesenvögel.

Dieses grüne Stück Land, das sich von den Ostdörfern nach Süden hin bis zum Wattenmeer erstreckt ist 1936, auch im Zuge der Entstehung des Rantum Beckens eingedeicht worden. Es ist Marschland. Die alten Priele, die nun als Entwässerungssiele die Wiesen durchziehen und die Warften, auf denen viele der alten Häuser noch ruhen, erinnern an den früher regelmäßigen Kontakt mit der Nordsee.

Im Auto, bei Tempo 100 auf der Bäderstraße, lässt sich dieses Terrain nicht hinreichend erschließen. Wenn man zu Fuß oder auf dem Fahrrad unterwegs ist und sich Auge und Ohr langsam wirklich öffnen, der Morgennebel noch über den Flächen liegt, dann beginnt sich der Zauber dieser auf den ersten Blick eintönigen Wiesenlandschaft zu entfalten.

Über die Jahre wurde hier das anfänglich umgebrochene Ackerland vermehrt wieder zu Grünland, da durch die Nässe in den Niederungen der Ertrag zu gering und der Aufwand zu groß war. Heutzutage werden die Flächen größtenteils als Weideland für Robustrinder und Pferde und zur Heumahd genutzt. Im Gegensatz zum Watt oder zur Dünen- und Heidelandschaft ist der Nössekoog also keine Natur- sondern eine Kulturlandschaft, der erst durch die menschliche Nutzung zu diesem einzigartigen Lebensraum werden konnte. Regelmäßige, behutsame, also extensive landwirtschaftliche Nutzung ist absolute Grundvoraussetzung zum Fortbestehen dieser Landschaft. Würde sie unterbleiben, wüchsen innerhalb weniger Jahre Gebüsche und Gehölze so hoch, dass der ursprüngliche Charakter mit seinen freien Sichtachsen mit ungehindertem Horizontblick für Mensch und Tier verloren gehen würde.

Und dieser freie Blick über weite Distanzen ist unabdingbar für das Überleben der vielen seltenen Vogelarten. Zu den in Europa am stärksten gefährdeten Vogelgattungen, die eben gerade im Nössekoog beheimatet sind, gehören die Wiesenvögel wie Kiebitz, Austernfischer, Rotschenkel, Bekassine und Uferschnepfe. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten auf dem Festland durch Intensivierung der Landwirtschaft, Trockenlegung und Umwandlung von Grünland in Ackerland (zum Beispiel zum Anbau von Mais zur Biogasgewinnung) sehr viele ihrer angestammten Brutgebiete verloren. Die Einbrüche sind verheerend, viele Wiesenvogelarten haben in den letzten dreißig Jahren über 90% ihres Bestandes eingebüßt. Viele Arten sind in Mitteleuropa ausgestorben oder stehen kurz vor dem Aussterben.

Der Nössekoog gilt als eines der zehn wertvollsten Gebiete für die Uferschnepfe Uferschnepfelandesweit. Während auf dem Festland die meisten der für die Wiesenvögel wichtigen Gebiete unter Schutz stehen, gilt für den Nössekoog weder Natur- noch Landschaftsschutz. Das Besondere ist hier, dass Landwirte freiwillig Wiesenvogelschutzprogrammen beitreten, in denen Düngung, Menge des Viehbesatzes und Mähtermine geregelt sind. Jäger verzichten aus freien Stücken auf Aufforstung; Ausgleichsmaßnahmen für Bauprojekte auf der Insel werden hier umgesetzt, der Bauhof reduziert die Gebüsche an den Wegen, um den ursprünglichen Charakter dieser Landschaft zu erhalten.

Es werden sogenannte Tränkekuhlen angelegt – flache Wasserstellen in den Wiesen, um das Nahrungsangebot für Jungvögel zu erhöhen, aber auch den selten gewordenen Amphibien  wie zum Beispiel dem Moorfrosch eine Heimstatt zu geben.

Der Bruterfolg aller Wiesenvögel in den letzten Jahren war sehr gering. Daher ist es so wichtig, die Chancen zur Aufzucht der Jungen zu verbessern. Jäger versuchen die Bestände der Bodenfeinde zu begrenzen und Nistmöglichkeiten für Krähen und Greifvögel sollten gar nicht erst entstehen.

Werden Schutzmaßnahmen konsequent umgesetzt, zeigen sich zum Beispiel am nahen Festland schon wieder erste Erfolge. Vielleicht können wir demnächst auch wieder unseren Kindern zurufen: „Lasst uns zu den Kampfläufern fahren!“

 

Kai Pflaume, das chinesische Staatsfernsehen und eine ornithologische Sensation am Beckenrand

Foro:Thomas Luther

Foto: Thomas Luther

Sylt/Stanley (Falklands): Der Vogel des Jahres dürfte auf Sylt jetzt schon feststehen: Ein Schwarzbrauen-Albatros (SBA), auch Mollymauk genannt, mutmasslich von den Falkland-Inseln im Südpolarmeer. Dessen beeindruckende Flugmanöver werden auf der Insel schon seit Wochen von Ornis (Vogelfreunden) beobachtet. Viele nennen ihn einfach „Molly“. Biologen bezeichen ihn als Thalassarche melanophris. Naturreporter Sylt sprach mit dem sylter Vogelexperten Dr. Thomas Luther über den seltenen Gast:

Moin Thomas, Du hast den Albatros schon lange im Visier. Aus deinem Dachfenster kannst Du ja sogar per Spektiv von Tinnum aus ins Rantum Becken schauen. Seit wann ist der Albatros jetzt schon auf Sylt?

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Albatros im Rantumbecken, Foto: T.Luther

 

TL: Als 2014 das erste Mal seit Jahrzehnten wieder ein SBA im Bereich der Nordsee gemeldet wurde, war ich elektrisiert. Als einer der Ersten in Deutschland fand ich damals die Meldung in einem dänischen Internet-Portal aus Skagen. Danach habe ich mir nach ihm auf Sylt die Augen aus dem Kopf geschau. Allerdings wurde er in seinem ersten Jahr in Deutschland nur auf Helgoland gesichtet. Auch im Jahr 2015 war es mit Sylt keine Liebe auf den ersten Blick. Erst im Juli zog er über Amrum  das erste Mal nach Sylt. Gute Freunde von mir konnten ihn an der Kurpromenade Westerlands und am Königshafen jeweils für einige Minuten sehen.  Ab April 2016 wurde er dann endlich „Sylter Stammgast“ und ist derzeit  hier immer noch zu finden. Die Helgoländer Ornithologen sind verständlicherweise nicht so begeistert, dass der SBA dort nur noch sehr selten vorbei schaut.

Gibt es Theorien, woher der kommt und weshalb er sich auf den langen Weg nach Norden gemacht hat?

TL: SBAs sind die häufigsten Albatrosse, die mit über einer halben Millionen Brutpaaren auf den Falklandinseln, Südgeorgien und anderen südpolaren Inseln brüten. Damit ist die Wahrscheinlichkeit, dass einer dieser Vögel bei Stürmen auf die Nordhalbkugel verdriftet, am größten. Das kommt zwar selten, aber immer mal wieder vor. Als ausgesprochen Thermik-„surfende“ Flieger kommen sie über die windarmen Rossbreiten am Äquator offenbar nicht zurück in ihr Brutgebiet. Deshalb sind sie für den Rest ihres (oft sehr langen) Lebens im Norden gefangen. Ihr Jahresrhythmus passt sich dann auch unseren Gegebenheiten an. Er ist jedoch auf ewig ein „Außerirdischer“, denn er wird unter den heimischen Vögeln nie einen Partner finden.

 Wovon ernährt der sich denn hier?

TL: Es wurden schon zweimal Offshore-Beobachtungen von dem Vogel 7 – 30 km vor Sylt gemacht, allerdings immer nur im Streckenflug. Niemand sah ihn bislang bei der Nahrungsaufnahme (Fischer und Segler vor Sylt: Bitte meldet unbedingt Eure Beobachtungen!). Er wird sich aber wahrscheinlich von Fisch oder Tintenfisch ernähren. Offensichtlich kommt er hier bestens zurecht.

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Albatros mitten zwischen Hockerschwänen im Rantum Becken,  Foto: T.Luther

 Weshalb wird er meist im Rantum Becken gesichtet?

TL: Die bislang dokumentierten längeren Aufenthalte von SBAs gab es nur in Kolonien von Basstölpeln in England und Norwegen, die er in Ermangelung an echten Albatros-Partnern als Ersatz auswählt. Es ist das erste Mal, dass er sich offensichtlich zu anderen großen weißen Vögeln mehr hingezogen fühlt – die Höckerschwäne des Rantum Beckens. Alljährlich sammeln sich hier ca. 100 nichtbrütende Tiere, die seinem Verhalten nach zu urteilen, sehr anziehend auf ihn wirken. Selten „versucht“ er es auch mal bei den Gänsen im Nössekoog „zu landen“. Es ist also die Kombination der hohen Zahl der Schwäne mit der Nähe zur Hohen See, die Sylt für ihn interessant macht.

Weiß man etwas über sein tägliches Flug verhalten?

TL: Es gibt hier keine Regelmäßigkeit. Er scheint im Becken, aber auch vor der Kurpromenade Westerlands zu übernachten. Aber dann gibt es auch Tage, wo er mal Kilometerweit weg schiesst: Ausgerechnet als ich im Mai eine vogelkundliche Führung anbot, um ihn zu beobachten, war er nachweislich gerade mal kurz nach Ostengland gezischt! Auch hat man ihn dieses Jahr für eine Stippvisite schon in Norwegen gesehen. Letztes Jahr ist er die Strecke Sylt – Fair Isle (NO Schottlands, 790 km) in 21 Stunden geflogen. Das Bewegungsmuster deutet immer auf den selben Vogel. Teils am gleichen Tag konnte man ihn auf Helgoland und auf Sylt sehen. Nach solchen längeren Erkundungsflügen hat ihn sein  Bruttrieb aber immer wieder nach Sylt zurück gebracht.

Wie verträgt er sich mit anderen Vogelarten?

TL: Obwohl er von uns Menschen durchaus mit einer besonders dick geratenen Mantelmöwe verwechselt werden kann, scheint er für alle bei uns heimischen Vogelarten sehr exotisch zu wirken. Er wird von allen Möwen attackiert. Wenn er über den Koog fliegt gibt es ein Heidenspektakel unter den Wiesenvögeln. Auch ein Seeadler hat ihn schon angegriffen. Eine Theorie besagt, dass ein Angriff von zwei Seeadlern in Dänemark, der beinahe sein Leben gekostet hätte, ihn bis auf Weiteres dort nicht mehr  nach Partnern suchen lässt.

Wird sich der Albatros hier dauerhaft ansiedeln und vielleicht sogar einen Partner finden um hier zu brüten?

TL: Ich möchte meinen Enkeln den Albatros noch im Rantum Becken zeigen! Er kann (man schätzt ihn als „Teenager“ ein) noch gut und gern 40 Jahre hier auf Partnersuche gehen. Er wird aber wohl immer Single bleiben. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei SBAs aufeinander treffen ist so verschwindend niedrig, dass dieses Ereignis wohl von Kai Pflaume und dem Chinesischen Staatsfernsehen gleichzeitig übertragen werden würde.

Wo ist der Albatros jetzt gerade?

TL: Gerade in diesen ersten Julitagen bricht er zu seiner eigentlichen Bestimmung auf: Hinaus auf die Weltmeere um zu fliegen, fliegen , fliegen. Niemand weiss, wohin genau. Als perfekter Segler, der den Aufwind jeder Welle ausnutzt wird er nun Zehntausende Kilometer zurücklegen, um im nächsten April wieder auf unserem kleinen Sylt zum Brutgeschäft aufzutauchen. Das geben ihm nun die Hormone vor.

 Fliegt der nie nach Hause zum Südpol?

TL: Er bleibt wahrscheinlich auf der Nordhalbkugel. Vogelforschern auf Helgoland, die gerade Basstölpel mit GPS-Loggern ausrüsten juckte es in den Fingern, den SBA auch zu besendern. Der Albatros hätte dort mit dem Schmetterlingsnetz gefangen werden können, so nahe kam er den Menschen dort am Lummenfelsen. Man hat sich allerdings dagegen entschieden. So werden seine Törns wohl inkognito bleiben.

Welchen Stellenwert hat so eine Sichtung für die Ornis in Deutschland, bzw. an der Küste?

TL: Es ist eine absolute Sensation! Fragt man Ornis von Norwegen bis Israel nach der Seltenheit, die sie in ihrem Leben einmal sehen wollen, so hört man sehr häufig: ALBATROS! Allein in diesem Jahr haben wir Birder aus England, Norwegen, Schweden, Belgien und Holland für den SBA anreisen sehen – teils auch ohne Erfolg. Es gibt Twitcher (Artensammler), die sieben Mal vergeblich nach Helgoland gefahren sind! Natürlich ist es wissenschaftlich gesehen kein weltbewegendes Ereignis, allerdings rührt doch viele Menschen das Schicksal dieses Tieres – 14000 Kilometer von zu Hause, ganz allein. Er ist uns ans Herz gewachsen und es ist so tragisch zu sehen, wie er sein Leben lang scheitern wird, nur um es immer und immer wieder zu versuchen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Thomas Luther (TL) lebt als Augenarzt auf Sylt und ist ausgewiesener Vogelexperte.

Das Interview führte Naturreporter Lothar Koch