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Serie Naturschutz Folge 8: Nordseeschutz mit Kettenreaktion: 1988- Erinnerungen an einen umweltpolitisch „heissen“ sylter Sommer

1988 bildeten über 40 000 Menschen eine Menschenkette für Nordseeschutz auf Sylt (ganz links im Bild G.P. Werner einer der Organisatoren beim Bemühen 20111 eine erneute Menschenkette zum Thema Atomunfall Fukushima am Strand zu bilden.

1988 bildeten  40 -60 000 Menschen auf Sylt eine Protestkette für mehr Nordseeschutz  (ganz links im Bild G.P. Werner,  einer der damaligen Organisatoren von den Grünen (hier im Jahre 2011 anlässlich einer erneute Menschenkette zum Thema Atomunfall Fukushima.)

In einer Serie stellt die Naturschutzgemeinschaft Sylt und die Söl’ring Foriining das Thema „Natur auf Sylt“ in seiner ganzen Bandbreite in der Sylter Rundschau dar. Erschienene Artikel werden auf natuerlichsylt.net veröffentlicht und archiviert. Es werden Institutionen und Vereine vorgestellt und auch  Menschen, die sich für die Sylter Natur einsetzen. In der sechsten Folge gibt der Diplombiologe Lothar Koch einen Überblick über den Nordseeschutz seit 1988.

1988- Wende für den Nordseeschutz

Der Sommer vor 30 Jahren war ein Wendepunkt für den Nordseeschutz. Seit über einem Jahrzehnt hatte sich bundesweit ein steigendes Umweltbewusstsein entwickelt. Nach Atom-, Fluss- und Waldsterben-Debatten brachten 1988 dramatische Vorfälle in der Nordsee das Meer in den Fokus des Interesses. Sie beeinflussten die Küstenpolitik fortan nachhaltig.

Was zuvor geschah…

1980 diagnostizierten Sachverständige einen desolaten Zustand der Nordsee. Wasserverseuchung und Fischverkrüppelungen wurden zum ersten Mal offiziell den giftigen Einträgen von Industrie und Landwirtschaft aus den Flüssen, sowie der direkten Giftverklappung und -verbrennung auf der Nordsee zugeschrieben. Auch die Vereinbarkeit von Naturschutz und  Tourismus stellte das Gutachten in Frage. Viele Küstengemeinden leiteten ihre Abwässer noch ohne biologische Klärstufe direkt ins Meer und deponierten ihren Müll im Überschwemmungsgebiet. Die Verklappung von Dünnsäure bei Helgoland wurde Dank Greenpeace zum öffentlichen TV-Spektakel.

Parallel dazu streiteten sich Schützer und Nutzer um die Eindeichung der Nordstrander Bucht und die Einrichtungen der Wattenmeer-Nationalparke. Das Thema „Umwelt“ belegte Platz 1 der gesellschaftlichen Hitliste. Im Herbst 1987 war die Betroffenheit hinsichtlich der Nordsee-Qualität so gross, dass der Nordseebäderverband-SH erstmalig in gemeinsamer Allianz mit Umweltverbänden „Aktion“ machte. Das Ausflugschiff „Pidder Ling“ wurde samt einer Delegation von Küstengemeinden als „Ein Schiff gegen den Wind“ zur internationalen Nordseeschutzkonferenz nach London geschickt. Die Schutzstation Wattenmeer sammelte in ihrem Netzwerk Strandmüll ausländischer Herkunft, verpackte ihn in Präsenskörbe und lieferte diese in der Aktion „Return to Sender“ direkt vor die Türen der Minister in London. Prinz Charles  sagte in seinem Grußwort : „Wir haben die Nordsee zur Kloake gemacht und der „Patient Nordsee“ könnte sterben, während wir hier auf die Diagnose warten“.

Schon im Frühjahr 1988 deutete alles darauf hin, dass Prince Charles richtig lag: Eine „Killer-Alge“ vermehrte sich explosiv im Kattegat und führte zu Millionenschäden bei Fischfarmen. Im Juli folgte der bis heute grösste Unfall einer Ölbohrinsel in der Nordsee: 167 Arbeiter auf der Plattform Piper Alpha liessen bei einer Explosion ihr Leben. Das warf einen Blick auf die desaströsen Umwelt- und Sicherheitsstandards bei dieser Nordsee-Industrie.

Doch nicht nur Menschenleben waren im Sommer 88 zu beklagen. Mit dem Einsetzen der Seehundwurfsaision begann das spektakulärste Robbensterben des Jahrhunderts. Täglich trieben Kadaver an die Küste. In einer Spitzen-Woche waren es über 500 tote Robben, die in der Sommerhitze am Strand vergammelten. Über 150 verschiedene toxische Substanzen wurden später in deren Organen gefunden. Tiermediziner bescheinigten dem Seehund-Bestand ein schlechtes Immunsystem, das gegen die grassierende Staupe nicht ankam. Am Ende waren es rund 20 000 Seehunde, die an der Nord-und Ostseeküste daran verendeten. Die Verarbeitung der Kadaver zu Tierfutter wurde wegen zu hoher Schadstoffgehalte im Fett amtlich untersagt. Sie wurden als Sondermüll entsorgt.

Tote Robben brachten das Fass zum Überlaufen

Auf dem Höhepunkt des Seehundssterbens, macht sich der Frust auf den Inseln Luft.

Seehunde starben 1988 "wie die Fliegen" an der Küste

Seehunde starben 1988 „wie die Fliegen“ an der Küste

Die Nordseebäder fürchteten ernsthaft um ihren Ruf. Mitten in der Hauptsaison schafften Sylter Umweltschützer es, die Kurbetriebe und Gemeinden für eine Idee zu begeistern: Eine Menschenkette sollte Zeichen für eine „saubere Nordsee“ setzen. Tatsächlich gelang es am 24.7.1988, für eine  Aktionskette zwischen List und Hörnum genug Menschen zu aktivieren.: Bis zu 60 000 Menschen Hand in Hand am Strand waren ein starkes Protestsignal, dessen Bilder, ebenso wie die von sterbenden Robben, in die deutschen Fernsehhaushalte drangen.

Danach nahm auf der Insel der Umweltschutz richtig Fahrt auf. Der SPIEGEL berichtet am 1.8.88:
Der Kampener Bürgermeister gelobte, für die Rettung der Nordsee werde er in Bonn notfalls „Türen eintreten“. „Das ist der Beginn einer großen Kampagne“, sagt Naturschützerin Klara Enss, stellvertretende Bürgermeisterin von Wenningstedt, pathetisch. Pastor Christoph Bornemann verkündete beim Protestgottesdienst: „Heute wollen wir mit dem Verdrängen aufhören.“

Harte systematische Lobby-Arbeit für die Nordsee folgte

In den Jahren danach wich die Euphorie für Nordseeschutz harter Detailarbeit seitens der Umweltverbände und -behörden- sowohl auf der Insel, als auch in den internationalen politischen Gremien. Stück für Stück wurden Abkommen realisiert, wie zum Beispiel gegen die Verklappung von Öl- und Giftstoffen, sowie Festmüll in die Nordsee. Küstenweit wurden Kläranlagen mit biologischen Stufen nachgerüstet. Meeresdüngende Phosphate verschwanden aus Waschmitteln, das bleifreie Benzin wurde eingeführt, Umweltstandards und Verträglichkeitsnormen entwickelt und die Flüsse wieder so sauber, dass man heute darin baden kann und sogar Fische findet. Den  Sylter Umweltverbänden (Naturschutzgemeinschaft Sylt, Schutzstation Wattenmeer, BUND) ging es darum, das steigende Umweltbewusstsein unmittelbar für die Insel zu nutzen und ein Gegengewicht zum ungebremsten Wirtschaftswachstum zu bilden, das mit Bebauung, Versiegelung, Naturverschandelung, Luftverpestung, Energieverschwendung und Vermüllung daherkommt.

Infostand in der Friedrichstrasse um 1993

Infostand der Schutzstation Wattenmeer in der Friedrichstrasse um 1993

Es galt, die Betroffenheit der Sylter Unternehmer und Touristiker zu nutzen, um etwas Substantielles für den Umweltschutz auf und um die Insel zu erreichen. Leider gingen die meisten Sylter Institutionen wenige Jahre nach dem Pressewirbel, den die sterbenden Seehunde verursacht hatten, wieder zur Tagesordnung über. Immerhin wurde ein mobiler Geschirrspüler für Gross-Veranstaltungen angeschafft, um Plastikmüll zu sparen, sowie ein jährlicher Umwelttag und ein Umweltpreis ausgelobt. Diese, ohnehin eher symbolischen Aktivitäten, sind längst Geschichte. Sie finden heute ihre Fortsetzung in punktuellen umweltfreundlichen Marketingaktionen die zum Gesamt-Portfolio eines modernen Tourismusservice wohl ebenso gehören, wie Aktivitäten, die mit Umweltschutz kaum vereinbar sind:  Motorrad- und Diesel- Trecker-Korsos, Grossveranstaltungen mit/für Autoherstellern und Anwerbung von immer mehr Menschen und Fluggesellschaften.

Gemeinsame Folgekampagne mit Nordseebäderverband und Co

Bis Ende der 1990iger Jahre etwa, war der Nordseeschutz-Geist von 1988 aber in vielen Amts-und Experten-Gremien noch deutlich spürbar. So gab es 1994 eine zweite gemeinsame Kampagne von Nordseebäderverband und Naturschutz vor den Türen der internationalen Nordseekonferenz in Esbjerg, das Motto: „Unsere Nordsee lasst sie leben“-Alle zogen an einem Strang und überreichten den Ministern Tausende von „Roten Karten“, um konkrete Ergebnisse anzumahnen.

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Gemeinsame Aktion „Rote Karte“ von Tourismus, Gemeinden und Umweltverbänden vor der INK in Esbjerg

 

Im Nordseeschutz vereint: von links: Silke Petersen (Nordseebäderverein), Landrat Bastian, Holger Westmüller( WWF), Lothar Koch /Schutzstation) Bürgermeister Föhr, Hans v. Wechseln (Schutzgemeinschaft dt. Nordseeküste).

Im Nordseeschutz vereint: von links: Silke Petersen (Nordseebäderverband),  Olaf Bastian (Landrat Nordfriesalnds) , Stefan Aust ( WWF), Lothar Koch (Schutzstation), Heinz Georg Roth (Bürgermeister Wyk auf Föhr), Hans v. Wecheln (Schutzgemeinschaft dt. Nordseeküste).

Was hat das Engagement gebracht?

Und heute? Ja-die Arbeit für den Nordseeschutz  hat sich gelohnt! In 1999 wurde das Nationalparkgesetz novelliert und damit ein grosser Teil des Sylter Hausmeeres zum ersten europäische Walschutzgebiet ausgewiesen- das hält die Offshore Industrie auf Abstand. Im Jahr 2009 folgte die Widmung als Weltbnaturerbe. Erst im vergangenen Jahr entstand das Meeresschutzgebiet Sylter Aussen-Riff jenseits der 12-Seemeilengrenze. Die Nordseequalität hat sich sowohl als Badegewässer, wie auch als Ökosystem hinsichtlich der Nähr- und Schadstoffbelastung deutlich verbessert (wenn auch ein optimaler Zustand noch nicht erreicht ist). Verölte Strände sind im Vergleich zum letzten Jahrhundert deutlich seltener geworden. „Schwarze Flecken“ im Watt, Giftalgenpest und selbst exorbitante Schaumalgen-Berge am Strand kamen lange nicht mehr vor. Dafür sind Seegraswiesen ins Watt zurückgekehrt.  Beim Landschaftsschutz gelangen recht gute Fortschritte durch Besucherlenkungsmassnahmen und Widerstände gegen eine ausufernde Bebauung. Auch das eine Leistung der vielen hartnäckigen Naturschützer, die dem Image der Insel heute zu Gute kommt.

Auf dieser grundlegenden Leistung von Umweltverbänden, Umweltpolitik und -behörden der vergangenen dreissig Jahre spielt sich der heute immer mehr boomende Nordseetourismus ab.

Andere Probleme rückten im neuen Jahrhundert in den Vordergrund: Überfischung, Einwanderung fremder Arten, Offshore-Industrieausbau, Mikroplastik, Unterwasserlärm und Klimawandel. Themen, die  für den Fremdenverkehr kaum relevant sind, weil sie von Gästen nicht störend wahrgenommen werden.
Eine Umweltbewegung im Sinne der 80iger Jahre gibt es für die Nordsee daher nicht mehr- weder auf Sylt noch küstenweit. Protestpotential wird heute im Internet ausgelebt: Menschenketten sind out, Protestklicks am PC sind in- auch wenn sie in der Wirkung vermutlich nicht so eine Durchschlagskraft wie echte Aktionen auf der Strasse haben.

 

Menschenketten funktionieren noch bei echter unmittelbarer Betroffenheit. Hier Sylter Menschenkette nach Atomunfall in Fukushima, 2011

Menschenketten funktionieren wohl nur bei echter, unmittelbarer Betroffenheit. Hier Sylter Menschenkette nach Atomunfall in Fukushima, 2011

Ein Ziel, das schon 1988 formuliert wurde, Sylt frei von Plastiktüten zu bekommen, ist bis heute nicht erreicht worden. Auch alle Versuche, den Autoverkehr auf der Insel zu reduzieren sind am Widerstand oder mangelnder Entschlusskraft Sylter Entscheidungsträger und Unternehmer gescheitert.

Die Zahl der Gäste hat sich seit 1988 mehr als verdoppelt (1988 berichtet der SPIEGEL von 400 000 Gästen, heute sind es ca. 900 000 bei 7 Millionen Übernachtungen). Das „Rad des Umsatzes“ dreht immer schneller. Dank einer zweiten Autozugfirma werden immer mehr Fahrzeuge auf die Insel transportiert. Sanfte Mobilitätsangebote sind rar. Der Flugverkehr mit grossen Düsenmaschinen nach Sylt ist enorm gewachsen. Hinsichtlich des Klimaschutzes stellt ein  Gutachten der Insel schlechten Noten aus und der Ausverkauf der Inseldörfer schreitet voran.

Werbung des Nordseebäderverbandes SH

Werbung der Nordsee Tourismus Service GmbH SH (Nachfolgeorganisation des Nordseebäderverbandes SH)

Fazit

Der Wille, Natur, Umwelt und Originalität der Insel nachhaltig zu bewahren und sich dafür zu engagieren, ist auf  Sylt bei vielen Entscheidungen und Trends nicht wirklich  überzeugend erkennbar. Gutachten gibt es einige, doch die werden nicht effektiv umgesetzt.

Letztendlich liegt das wohl an der ausschliesslichen Fixierung auf das „lineare Prinzip“, wie es Michael Müller, Staatssekretär a.D., kürzlich bei einer sylter Veranstaltung zum Klimawandel ausdrückte: „Solange gesellschaftlich das Wachstumprizip Maßstab aller Dinge bleibt, wird es keinen Klimawandel geben“, sagte der Vorsitzende der Naturfreunde e.V..
Solange Gemeinden von ihren Tourismuseinrichtungen verlangen, den Erfolg nur über jährlich steigende wirtschaftliche Wachstumszahlen zu messen, wird sich in Sachen nachhaltigem Umwelt-, Natur- und Inselschutz (die historischen Stätten eingeschlossen) nicht viel ändern. Dabei wissen die Weisen zwischen Bhutan, Norwegen und Dänemark (Länder mit höchstem „Glücksindex“) doch längst, dass zum echten Lebens- und Urlaubs- Glück gerade das Unbezahlbare eines Wohlfühlortes gehört: schöne Landschaft, intakte Natur & Umwelt, Gesundheit, Authentizität, Freundlichkeit und Geborgenheit. Sylter Strategiekreise und Gemeinden wären gut beraten, diesen „Glücks-Zielen“ höchste Priorität in ihren praktischen Planungen zu geben.

Lothar Koch für die
Naturschutzgemeinschaft Sylt, Schutzstation Wattenmeer und Sölring Foriining

Naturschutz auf Sylt, Folge 7: Das NSG Sylter Außenriff

Zeichnung Martin Camm

Zeichnung Martin Camm

In einer Serie stellt die Naturschutzgemeinschaft Sylt und die Söl’ring Foriining das Thema „Natur auf Sylt“ in seiner ganzen Bandbreite in der Sylter Rundschau dar. Erschienene Artikel werden auf natuerlichsylt.net veröffentlicht und archiviert. Es werden Institutionen und Vereine vorgestellt und auch  Menschen, die sich für die Sylter Natur einsetzen. In der sechsten Folge gibt der Diplombiologe Fabian Ritter einen Überblick über den Stand der Dinge beim kürzlich neu eingerichteten NSG Sylter Aussenriff.

Wichtiger Lebensraum & Naturschutzgebiet westlich des Nationalparks SH-Wattenmeer mit dem Walschutzgebiet

von Dipl. Biol. Fabian Ritter, Whale and Dolphin Conservation (WDC)

 

Landseitig ist Sylt vom Nationalpark Wattenmeer begrenzt, der recht strengen Schutz genießt. Seeseitig blicken wir vom Weststrand ebenfalls auf einen Teil des Nationalparks. Dort erstreckt sich auch Deutschlands erstes – und bisher einziges – Walschutzgebiet entlang der gesamten Insel und südlich bis Amrum. Für die heimischen Schweinswale ist es eines der wichtigsten Aufzuchtsgebiete, hier bringen sie jedes Jahr ihre Jungen zu Welt. Weniger bekannt ist jedoch, dass auch die Gewässer außerhalb der 12-Meilen-Zone (und damit in der deutschen „Ausschließlichen Wirtschaftszone“, AWZ) unter Schutz stehen. Das größte deutsche Meeresschutzgebiet der Nordsee „Sylter Außenriff“ schließt sich direkt an das küstennahe Schweinswalschutzgebiet an.

Walschutzgebiet

Befliegungskarte Schweinswale monitoring Sylter Aussenriff 2014-Karte

Ende 2017 wurde das Sylter Außenriff als Naturschutzgebiet gemäß dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) ausgewiesen. Damit wurde endlich vollzogen, was seit über einem Jahrzehnt in der Entstehung, jedoch immer wieder erheblich verzögert worden war. Denn auf dem Papier besteht das Schutzgebiet schon seit 2007 – es ist Teil eines Schutzgebietsnetzwerkes „Natura2000“ unter der 2004 in Kraft getretenen Flora-Fauna-Habitat (FFH-) Richtlinie der EU in Kraft. Die EU-Mitgliedsstaaten verpflichteten sich, den Schutz der Lebensräume und Arten in den Natura2000-Gebieten zu gewährleisen und binnen sechs Jahren in nationales Recht umzuwandeln. Doch damit begannen auch die Schwierigkeiten.

Das Sylter Außenriff ist in der Tat ein besonderes Gebiet. Großräumig gibt es hier Steinriffe, die eine Vielzahl von bodennah lebenden Arten beherbergen. Zwischen den Riffen liegen wichtige Habitate für zahlreiche Organismen. Die Amrumbank ist als große Sandbank ein wichtiger Lebensraum für Fische. Die Vielgestaltigkeit dieses Mosaiks führt zu einem Fischreichtum, der wiederum Meeressäuger anzieht. Deshalb konzentrieren sich Schweinswale hier, aber auch Seehunde und Kegelrobben finden gute Bedingungen. Außerdem ist das Sylter Außenriff Nahrungs-, Überwinterungs-, Mauser-, Durchzugs- oder Rastgebiet für diverse Seevogelarten, darunter Seetaucher, Tordalken, Basstölpel, Trottellumme und Dreizehenmöwe.

All diese Charakteristika wurden ins Feld geführt, als es um die Ausweisung des Schutzgebietes ging. Und zu verbessern gibt es in der Tat einiges, denn obwohl es sich um einen Lebensraum von hohem Stellenwert für viele, seltene und bedrohte Arten handelt, ist sein Zustand alles andere als natürlich. Denn überall im Schutzgebiet wird kommerziell gefischt. Die grundberührende Fischerei ist im Sylter Außenriff praktisch flächendeckend verbreitet. Die schweren Geräte der Krabbenkutter hinterlassen mit jedem Fischzug deutliche Spuren der Zerstörung auf dem Meeresboden. Stellnetze tun ihr übriges, in ihnen verfangen sich bekanntermaßen besonders viele Meeressäuger und Seevögel. Zusätzlich trifft man Freizeit- und Stellnetzfischer landwärts, während große Trawler ihre Schleppnetze weiter draußen auf hoher See ausbringen. Wenngleich die Fischerei den größten negativen Effekt auf das Ökosystem hat, ist sie bei weitem nicht die einzige menschliche Nutzung. Die Schifffahrt, der Bau von Windparks, die Suche nach Öl- und Gas und massive militärische Übungen finden im Umfeld sowie innerhalb des Schutzgebietes statt. Unrühmliches Beispiel war zuletzt der Bau des Windparks „Butendiek“, der trotz massiver Störungen von Vögeln und Meeressäugern bis 2015 mitten ins Schutzgebiet gebaut wurde. An Tagen mit guter Sicht kann man die Windräder vom Sylter Weststrand aus in der Ferne sehen. 2015 hat der Windpark seinen Betrieb aufgenommen, und seit mehr als drei Jahren läuft auch eine Klage von Naturschützern gegen die Betriebserlaubnis der 80 Windenergieanlagen.

Aber wie kann es sein, dass all diese Aktivitäten innerhalb eines Naturschutzgebietes stattfinden? An Land würde niemand auf die Idee kommen, Straßen oder Großanlagen in ein Naturschutzgebiet zu bauen, militärische Übungen oder die massenhafte Entnahme von Organismen zu genehmigen. Ein Grund für den mangelnden Schutz im Sylter Außenriff war lange das Fehlen eines Managementplans, der fest legt was im Schutzgebiet erlaubt ist und was nicht. Für das Sylter Außenriff wurde jedoch erst Ende 2017 vom Bundesumweltministerium der Entwurf eines Managementplans vorgestellt. Vorangegangen war eine schier unendlich politische Auseinandersetzung, bei der sich verschiedene Bundesministerien gegenseitig blockierten. Dass auch in Zukunft wirtschaftliche Interessen an vielen Stellen über den Naturschutz gestellt werden, ist den Managementplan-Entwürfen bereits anzusehen. Kaum eine Aktivität soll im Sylter Außenriff per se verboten werden. Windparks, ja sogar der Abbau von Rohstoffen können nach einer Umweltverträglichkeits-prüfung weiterhin genehmigt werden. Hier wird im Vergleich mit Naturschutzgebieten an Land mit unterschiedlichem Maß gemessen.

Thema Schifffahrt: Der viele Verkehr in der Nordsee kreuzt mitten durch das Schutzgebiet, und bringt damit die Gefahr von Müllverschmutzung, Kollisionen mit Meeressäugern und Unterwasserlärm. Insbesondere Schweinswale reagieren sehr empfindlich auf den Lärm, und erst vor kurzem wurde nachgewiesen, dass Schweinswale aufgrund von Schiffslärm weniger effektiv jagen können. Andere Folgen des Lärms sind Stress, Vertreibung und mögliche Effekte auf Populationsebene. Zu bedenken ist stets auch, dass alle Einflüsse kumulativ auf die Meeresorganismen einwirken und synergistische Effekte entstehen können, welche den Gesamtdruck zusätzlich verstärken.

Thema militärische Übungen: Die Bundeswehr darf im Sylter Außenriff heute praktisch alles tun und lassen was sie für notwendig erachtet, auch wenn dadurch die Natur – buchstäblich – unter Beschuss gerät. Manöver, Schießübungen, Tiefflüge, Sonareinsatz, usw. werden auch zukünftig erlaubt bleiben – inmitten der Schutzgebiete und ohne Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Totschlagsargumente „innere Sicherheit“ und „Terrorabwehr“ sorgen dafür, dass es hier bis auf Weiteres keine Einschränkungen geben wird. Immerhin hat die Marine mittlerweile Dialogbereitschaft signalisiert, zukünftig mehr auf Naturschutzaspekte zu achten. Ob das zu wirksamen Veränderungen führen wird, darf jedoch bezweifelt werden.

Thema Fischerei: Da Deutschland aufgrund von EU-Beschlüssen die Aktivitäten der Fischer in der AWZ nicht selbstständig beschränken darf, müssen alle Vorschläge zur Regulierung bestimmter Fangmethoden oder zeitlich-räumliche Begrenzungen mit den EU-Nachbarstaaten abgesprochen werden. So werden bis heute Deutschlands Vorschläge im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik verhandelt. Nun hat die Fischerei in Deutschland eine starke Lobby, die im zuständigen Landwirtschaftsministerium stets auf offene Ohren stößt. Das Ergebnis der Verhandlungen wird aus Sicht des Naturschutzes enttäuschend sein, denn weder wird Fischerei flächendeckend verboten (was für ein Naturschutzgebiet ja durchaus adäquat wäre), noch werden umweltzerstörerische Fangmethoden abgeschafft. Im Gegenteil: je länger die Verhandlungen dauern, desto mehr werden die ursprünglichen Maßnahmen verwässert. Leidtragende sind Schweinswale, Seevögel und viele andere schützenswerte Arten. Leider hat die Bundesregierung hier ihre Chance verspielt, eine Vorreiterrolle im Meeresschutz innerhalb der EU einzunehmen.

Whale and Dolphin Conservation (WDC) setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, dass Meeresschutzgebiete in Deutschland ihren Namen verdienen. In Kooperation mit anderen Umweltschutzorganisation – darunter auch die Schutzstation Wattenmeer – werden dazu Gespräche mit Entscheidungsträgern gesucht, Kampagnen zur öffentlichen Bildung ins Leben gerufen und fachliche Stellungnahmen verfasst. Ohne diese wichtige Arbeit hätte der Meeresschutz in Deutschland deutlich weniger Gewicht.

Bedauerlicherweise bestehen die Nordsee-Meeresschutzgebiete, inklusive dem Sylter Außenriff bisher also praktisch nur auf dem Papier. Ob wir Menschen unsere störenden Aktivitäten zukünftig fast unverändert fortführen werden, oder ob es zu echten Einschränkungen kommt, die der Natur dienen (sprich: ob die Schutzgebiete das Papier wert sind, auf dem sie stehen), daran wird sich die Meeresschutzpolitik in Deutschland trefflich messen lassen können.

Dipl.-Biol. Fabian Ritter, und Meeresschutzexperte bei WDC setzt sich zusammen mit seiner Organisation und dem Projekt „Walheimat“ { http://de.whales.org/themen-und-projekte/walheimat-sichere-schutzgebiete-jetzt } für den verbesserten Schutz der Schweinswale in deutschen Gewässern ein.

Sein neues Buch über Wale und Delphine bei den Kanarischen Inseln gibt es hier:Delfinbuch Titelhttp://clarityverlag.de/shop/edition-claritycollection/delfine-detail.html

Naturschutz auf Sylt, Folge 6: Der Nössekoog – das grüne Herz von Sylt

Nössekoog Übersicht

In einer Serie stellt die Naturschutzgemeinschaft Sylt und die Söl’ring Foriining das Thema „Natur auf Sylt“ in seiner ganzen Bandbreite in der Sylter Rundschau dar. Erschienene Artikel werden auf natuerlichsylt.net veröffentlicht und archiviert. Es werden Institutionen und Vereine vorgestellt und auch  Menschen, die sich für die Sylter Natur einsetzen.

In der sechsten Folge gibt Dr. Thomas Luther, Vogelexperte und Augenarzt auf Sylt,  einen Überblick über die Entwicklung des Nössekooges (Tinnumer Wiesen).

 

 Von Tränkekuhlen, freiem Horizont und Kampfläufern

„Lasst uns zu den Kampfläufern fahren!“ – Früher haben viele Sylter ihre Kinder eingepackt und sind in die Wiesen zwischen Tinnum und Morsum gefahren, um im Frühjahr ein ganz besonderes Schauspiel zu beobachten: das Balzturnier des Kampfläufers. Hier lieferten sich auf den feuchten Wiesen zwischen Wollgrasbulten die ganz verschiedenfarbigen Männchen mit aufgestellten Halskrausen einen wilden Kampf um die Weibchen. Es flogen die Federn, als in hoher Geschwindigkeit gesprungen, ausgewichen und umherstolziert wurde. Leicht war es, diese Turniere mitzuerleben, da sich die Vögel auf den immer gleichen traditionellen Plätzen einfanden.

Kampfläufer

Das ist nun schon dreißig Jahre her, dass hier der letzte Kampfläufer seine Jungen aufzog, er ist inzwischen in Deutschland als Brutvogel fast komplett ausgestorben. Dennoch ist der Nössekoog noch immer ein sehr bedeutendes Brutgebiet für andere bedrohte Wiesenvögel.

Dieses grüne Stück Land, das sich von den Ostdörfern nach Süden hin bis zum Wattenmeer erstreckt ist 1936, auch im Zuge der Entstehung des Rantum Beckens eingedeicht worden. Es ist Marschland. Die alten Priele, die nun als Entwässerungssiele die Wiesen durchziehen und die Warften, auf denen viele der alten Häuser noch ruhen, erinnern an den früher regelmäßigen Kontakt mit der Nordsee.

Im Auto, bei Tempo 100 auf der Bäderstraße, lässt sich dieses Terrain nicht hinreichend erschließen. Wenn man zu Fuß oder auf dem Fahrrad unterwegs ist und sich Auge und Ohr langsam wirklich öffnen, der Morgennebel noch über den Flächen liegt, dann beginnt sich der Zauber dieser auf den ersten Blick eintönigen Wiesenlandschaft zu entfalten.

Über die Jahre wurde hier das anfänglich umgebrochene Ackerland vermehrt wieder zu Grünland, da durch die Nässe in den Niederungen der Ertrag zu gering und der Aufwand zu groß war. Heutzutage werden die Flächen größtenteils als Weideland für Robustrinder und Pferde und zur Heumahd genutzt. Im Gegensatz zum Watt oder zur Dünen- und Heidelandschaft ist der Nössekoog also keine Natur- sondern eine Kulturlandschaft, der erst durch die menschliche Nutzung zu diesem einzigartigen Lebensraum werden konnte. Regelmäßige, behutsame, also extensive landwirtschaftliche Nutzung ist absolute Grundvoraussetzung zum Fortbestehen dieser Landschaft. Würde sie unterbleiben, wüchsen innerhalb weniger Jahre Gebüsche und Gehölze so hoch, dass der ursprüngliche Charakter mit seinen freien Sichtachsen mit ungehindertem Horizontblick für Mensch und Tier verloren gehen würde.

Und dieser freie Blick über weite Distanzen ist unabdingbar für das Überleben der vielen seltenen Vogelarten. Zu den in Europa am stärksten gefährdeten Vogelgattungen, die eben gerade im Nössekoog beheimatet sind, gehören die Wiesenvögel wie Kiebitz, Austernfischer, Rotschenkel, Bekassine und Uferschnepfe. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten auf dem Festland durch Intensivierung der Landwirtschaft, Trockenlegung und Umwandlung von Grünland in Ackerland (zum Beispiel zum Anbau von Mais zur Biogasgewinnung) sehr viele ihrer angestammten Brutgebiete verloren. Die Einbrüche sind verheerend, viele Wiesenvogelarten haben in den letzten dreißig Jahren über 90% ihres Bestandes eingebüßt. Viele Arten sind in Mitteleuropa ausgestorben oder stehen kurz vor dem Aussterben.

Der Nössekoog gilt als eines der zehn wertvollsten Gebiete für die Uferschnepfe Uferschnepfelandesweit. Während auf dem Festland die meisten der für die Wiesenvögel wichtigen Gebiete unter Schutz stehen, gilt für den Nössekoog weder Natur- noch Landschaftsschutz. Das Besondere ist hier, dass Landwirte freiwillig Wiesenvogelschutzprogrammen beitreten, in denen Düngung, Menge des Viehbesatzes und Mähtermine geregelt sind. Jäger verzichten aus freien Stücken auf Aufforstung; Ausgleichsmaßnahmen für Bauprojekte auf der Insel werden hier umgesetzt, der Bauhof reduziert die Gebüsche an den Wegen, um den ursprünglichen Charakter dieser Landschaft zu erhalten.

Es werden sogenannte Tränkekuhlen angelegt – flache Wasserstellen in den Wiesen, um das Nahrungsangebot für Jungvögel zu erhöhen, aber auch den selten gewordenen Amphibien  wie zum Beispiel dem Moorfrosch eine Heimstatt zu geben.

Der Bruterfolg aller Wiesenvögel in den letzten Jahren war sehr gering. Daher ist es so wichtig, die Chancen zur Aufzucht der Jungen zu verbessern. Jäger versuchen die Bestände der Bodenfeinde zu begrenzen und Nistmöglichkeiten für Krähen und Greifvögel sollten gar nicht erst entstehen.

Werden Schutzmaßnahmen konsequent umgesetzt, zeigen sich zum Beispiel am nahen Festland schon wieder erste Erfolge. Vielleicht können wir demnächst auch wieder unseren Kindern zurufen: „Lasst uns zu den Kampfläufern fahren!“

 

Naturschutz auf Sylt, Folge 4: Die Geestheide auf Sylt – eine alte Kulturlandschaft



In einer Serie stellt die Naturschutzgemeinschaft Sylt und die Söl’ring Foriining das Thema „Natur auf Sylt“ in seiner ganzen Bandbreite in der Sylter Rundschau dar. Erschienene Artikel werden auf natuerlichsylt.net veröffentlicht und archiviert. Es werden Institutionen und Vereine vorgestellt und auch  Menschen, die sich für die Sylter Natur einsetzen.

In der vierten Folge gibt Margit Ludwig, Geschäftsführerin der Naturschutzgemeinschaft Sylt e.V. einen Überblick über die Geestheiden der Insel Sylt.

 

Weg durch die Braderuper Heide

Weg zwischen Braderuper Heide und Wattenmeer

Heiden gehören zu den am stärksten bedrohten Lebensräumen in Schleswig-Holstein. Waren um 1850 noch ca. 17 % der Landesfläche von Heiden bedeckt, liegt ihr Anteil heute landesweit unter 0,5 %, davon fast 50 % allein auf der Insel Sylt. Aber auch hier sind die Geestheideflächen in den letzten Jahrzehnten deutlich geschrumpft.
Von der ehemals großflächig zusammenhängenden Heidelandschaft zwischen Kampen und Keitum ist neben kleineren Beständen in Morsum und am Flugplatz Westerland die Braderuper Heide als größter Komplex erhalten geblieben. Alle Flächen unterliegen dem Naturschutzrecht und sind darüber hinaus als Naturschutz- bzw. FFH – Gebiet besonders geschützt. Auf diese halbnatürlich vom Menschen geprägten Flächen, eine Heide-Pflanzengesellschaft mit der starken Präsenz der lila blühenden Besenheide (Caluna vulgaris), soll im Bericht eingegangen werden.

Nach der letzten Eiszeit (Weichsel), die vor ca. 10.000 Jahren endete, hatten sich auf den Altmoränen (Geest) weiträumige, nährstoffarme Sandböden gebildet, auf der sich Wälder entwickeln konnten. Um fruchtbaren Ackerboden und Platz für Felder zu schaffen, begannen die Menschen der Jungsteinzeit (ab 2.5000 v. Chr.) mit der Brandrodung des Urwaldes und mit Wanderfeldbau. Auf den aufgegebenen Brandflächen breiteten sich als Primärstadium der Sukzession Heidekrautgewächse aus, welche viel Licht benötigen, aber mit nährstoffarmen, sauren Böden zurechtkommen. Erstmals tauchten in Schleswig- Holstein größere Heideflächen ab dem frühen Mittelalter auf.

Geestheiden sind somit Teil der historischen Kulturlandschaft, die in der Regel durch vermehrten Holzeinschlag und Übernutzung entstanden sind. Im Rahmen der traditionellen „Heidewirtschaft“ wurden die Heiden früher durch Plaggenhauen, Beweidung oder Mahd regelmäßig genutzt, auf Sylt bis in die Nachkriegszeit. Das vom Lebenszyklus der Besenheide abhängige „heidetypische Aussehen“ ist so erhalten geblieben. Im Rahmen der Plaggenwirtschaft wurde die nährstoffreiche Humusschicht der oberen Bodenhorizonte (Plaggen) abgetragen und mit Mist vermengt auf die Felder und Wiesen zur Düngung gegeben. Dieser Vorgang wurde im Abstand mehrerer Jahre immer wieder auf denselben Flächen wiederholt, wobei es nach und nach zu einer Übernutzung kam, die die Regenerationszeit der Heideflächen verlängerte. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erreichten die Heideflächen Schleswig Holsteins ihre größte Ausdehnung, danach gingen sie durch das Aufkommen von Dampfflug und Dünger im Rahmen der Intensivierung der Landwirtschaft kontinuierlich zurück.

Viele oft auch kleine Heideflächen befinden sich auf Sylt größtenteils noch in Privatbesitz. Heideflächen auf dem Flugplatzgelände sind im öffentlichen Besitz der Gemeinde Sylt, die übrigen gehören häufig Privateigentümern. Als Überbleibsel der Allmende gibt es in den Norddörfern die Losinteressentschaften. Früher befanden sich Teile der Geestheideflächen im Gemeinschaftsbesitz („Allmende“) wobei jeder Dorfbewohner über unterschiedlich viele Anteile am Heideland verfügte. Die Anzahl an „Losen“ bestimmte, wie viele Tiere ein „Interessent“ auf der Allmende weiden lassen durfte. Ursprünglich hing die Zahl der „Lose“ vom Besitz an Pferden ab, die für das Pflügen der Äcker bereitstanden.
Auf Dauer sind Geestheiden heutzutage nur durch gezielte Pflege in ihrer typischen Ausprägung zu erhalten. Dafür besteht daher eine besondere Verantwortung.

Aufgrund seiner hohen landschaftlichen Vielfalt und Naturnähe sind die Geestheiden

Raupe der Grasglucke

Raupe der Grasglucke

Lebensgrundlage einer charakteristischen Tier- und Pflanzenwelt von landesweit herausragender Bedeutung.
Fast die Hälfte der 95 im Gebiet nachgewiesenen höheren Pflanzenarten wird auf der Roten Liste für seltene Arten geführt. Besonders hervorzuheben sind dabei die Vorkommen von Arnika, Geflecktem Knabenkraut, Lungenenzian und der Niedrigen Schwarzwurzel.

Orchidee: Knabenkraut

Orchidee: Knabenkraut

Heilpflanze Arnika

Heilpflanze Arnika

Zu den charakteristischen Tierarten der Heideflächen gehören neben Hasen, Kaninchen und Fuchs die mehr im Verborgenen lebenden Zwerg-, Erd- und Feldmäuse, sowie Waldeidechsen und Kreuzkröten. Darüber hinaus findet man unter den weit über 1000 verschiedenen Insektenarten 219 Käfer-, 84 Spinnen- sowie 5 Heuschreckenarten.
Des weiteren bieten die Heiden einer vielfältigen Vogelwelt das ganze Jahr über geeignete Lebensräume. Sie sind Brutplatz für Feldlerchen und Wiesenpieper. Daneben nutzen viele gefiederte Gäste und Durchzügler die Heiden und Trockenrasenflächen zur Rast und Nahrungssuche. Die Bestandsrückgänge der letzten Jahre sind auch auf die Gefährdung der Brutplätze durch Überflutung, vor allem aber auf Störungen durch Spaziergänger und freilaufende Hunde zurückzuführen. Der allgemeine Rückgang bereitet Sorgen.

Steinschmätzer

Steinschmätzer

Ein besonderer Schwerpunkt der Arbeit der Naturschutzgemeinschaft Sylt e.V. ist der Erhalt der Geestheideflächen. Sie betreut die Naturschutzgebiete Morsum Kliff mit 43 ha seit 1977 und die 137 Hektar große Braderuper Heide seit der Unterschutzstellung 1979 im Auftrag des Landes Schleswig-Holstein. Dank ihres Einsatzes haben der Verein und dessen Mitglieder bereits umfangreiche Pflegemaßnahmen auf den Weg gebracht. Ziel ist es, die Heideflächen vor Überalterung zu bewahren und Verbuschung zu verhindern. Damit werden die Artenvielfalt und der besondere Charme dieser Landschaft erhalten. Ohne regelmäßig wiederkehrende Eingriffe verbreiten sich nach einiger Zeit Gehölze, die sich langsam zum Wald entwickeln. Dieser Vorgang ist ein natürlicher Prozess, der durch die heutzutage erhöhte Stickstofffracht über den Regen noch gefördert wird.

Die Pflegemaßnahmen umfassen die extensive Schafbeweidung, das Mähen, Brennen und

Heidschnucken als Pflegemassnahme

Heidschnucken als Pflegemassnahme

Plaggen von Heideflächen. Der Fraß der Schafe regt bei der Besenheide das Wachstum neuer Triebe an. Bei der derzeit über 500 Tiere umfassenden Schafherde, die von April bis Oktober auf den Sylter Geestheideflächen ihrer Arbeit nachgeht, handelt es sich um eine norwegische Rasse, der Norsk Spaelsau. Es sind robuste, genügsame Tiere, die es auch schon in dieser Region gab, lange bevor Sylt zur Insel wurde. Sie werden nun als Wanderschafherde eingesetzt, halten sich tagsüber in zwei Schichten in den Heideflächen zum Grasen auf und verbringen den Rest der Zeit in ihrem „Nachtpferch“, wo sie ihr Futter wiederkäuen, es sich quasi ein zweites Mal durch den Kopf gehen lassen. Die Schafherde wird von den Sylter Gemeinden und vom Land finanziert.

Das Plaggen von Heide- und Grassoden beseitigt die Vegetationsdecke mit der Rohhumusschicht und lässt den Lebenszyklus neu beginnen. Maschinelles Abtragen oder Schälen der oberen Vegetationsschicht ahmt das frühere Plaggen von Hand erfolgreich nach. Dies ist die effektivste Maßnahme, die Verjüngung von Heideflächen zu fördern. Das Heidekraut entwickelt sich dabei aus der Saat, die viele Jahrzehnte im Boden überdauerte und auf ideale Bedingungen „gewartet“ hat. Bearbeitete Flächen sind derzeit in Kampen südlich der Kupferkanne, beim Parkplatz zwischen Kampen und Braderup und in Braderup bei Up die Hiir zu sehen. Es braucht einige Jahre Geduld, bis auf der Fläche im Spätsommer wieder eine lila Blütenpracht gedeiht.
Soll eine Heidefläche abgebrannt werden, geschieht dies in enger Zusammenarbeit mit

Pflegemassnahme: kontrolliertes Abbrennen alter Heide

Pflegemassnahme: kontrolliertes Abbrennen alter Heide

den Gemeinden, den freiwilligen Feuerwehren und unter Mitwirken eines Spezialisten, der im Legen kontrollierter Feuer geübt ist. Das Abbrennen von Heideflächen erfolgt, ebenso wie das Plaggen, auf Flächen, die in der Regel nicht grösser als ein Hektar sind. Für das Brennen von Flächen muss der Boden gut abgetrocknet sein. Windstärke, Windrichtung und Jahreszeit bestimmen den Tag des Brennens außerhalb der Brut- und Setzzeit. Schneller, aber nicht so effektiv sind die Mahd von Heideflächen und das Entnehmen von Bäumen und Büschen mit der Wurzel, das sogenannte Entkusseln. Dies bewahrt die Heide nicht vor Überalterung. Durch die beschriebenen Pflegemaßnahmen werden den Heideflächen also Nährstoffe entzogen und ein Chaos simuliert, wie es in früheren Jahrhunderten praktiziert wurde. Die Arbeiten erfolgen in der Regel im Winter zwischen Oktober und Anfang bis Mitte März.

 

Margit Ludwig, Geschäftsführerin der Naturschutzgemeinschaft Sylt e.V.

Naturschutz auf Sylt, Folge 3: Kliffe auf Sylt : die Grenzen zum Meer

Das Rote Kliff, Foto: L.Koch

Das Rote Kliff, Foto: L.Koch

In einer Serie stellt die Naturschutzgemeinschaft Sylt und die Söl’ring Foriining das Thema „Natur auf Sylt“ in seiner ganzen Bandbreite in der Sylter Rundschau dar. Erschienene Artikel werden auf natuerlichsylt.net veröffentlicht und archiviert. Es werden Institutionen und Vereine vorgestellt und auch  Menschen, die sich für die Sylter Natur einsetzen.

In der dritten Folge gibt Dr. Ekkehart Klatt von der Sölring Foriining einen Überblick über die Insel-Kliffs.

Die unendliche Natur auf der Insel Sylt wartet mit vielen Schönheiten auf. Immer, wenn man sich einen Überblick verschaffen möchte, lohnt es sich, höher gelegene Orte aufzusuchen. Neben der 52 Meter hohen Uwe Düne in Kampen, oder der ebenfalls per Treppe zu besteigenden 34 Meter hohen Aussichtsdüne nördlich der Ortschaft List sind es die Kliffe an der West- und Ostküste, von denen der Ausblick bis weit in die Nordsee bzw. bis zu den Deichen auf dem dänischen und deutschen Festland reicht.

Das mit Abstand markanteste Kliff ist das vier Kilometer lange Rote Kliff. Da es fast 30 Meter hoch ist und sich vom Norden der Gemeinde Kampen bis nach Westerland erstreckt, war es für die Seefahrer über Jahrhunderte hinweg der wichtigste Orientierungspunkt, wenn sich ein Schiff der Insel vom offenen Meer her näherte. Außer den Nehrungshaken im Norden und Süden von Sylt ist es die einzige Steilküste, die durch das Anbranden von Meer und Wellen entstanden ist und im Gegensatz zu den Dünen auch noch lange nach den Sturmfluten allein durch ihre Höhe eine weithin sichtbare Orientierung bot. Genau wie wir es von der rein willkürlichen Farbgebung rot und grün bei den Positionslampen von Schiffen und Flugzeugen kennen, hat auch bei dem Namen „Rotes Kliff“ das Wort „rot“ nichts mit der wirklichen Farbe dieser Steilkante zu tun, sondern beschreibt bereits seit dem 16. Jahrhundert jedes markante Kliff, das von See aus optisch in Erscheinung tritt. Das Gegenteil wäre außerdem ein „Weißes Kliff“, wie wir es auf Sylt nördlich von Munkmarsch und unterhalb von Braderup auf der Wattseite vorfinden.

Den schönsten Ausblick vom Roten Kliff genießt der Naturfreund auf einem Spaziergang von Wenningstedt nach Kampen –oder natürlich auch umgekehrt- wenn man vom Strand kommend einen der Aufgänge benutzt und sogleich in nördlicher oder südlicher Richtung nur wenige Meter von der Kliffkante entfernt losläuft und den wunderschönen Fernblick über die sich immer unterschiedlich darstellende Nordsee genießt.

Ein dreifarbiges, aus Lehm und Sand bestehendes Kliff, das bereits bei der Anfahrt über den Hindenburgdamm kurz zu sehen ist, gehört möglicherweise zu den weniger bekannten Kliffen der Insel. Die Erd- und Frühgeschichtler haben es zu dem mit Abstand berühmtesten Kliff erklärt. Schmuckfunde aus der Wikingerzeit, gleich daneben das größte Gräberfeld aus dieser Epoche, äußerst seltene Fossilien von Muscheln und Schnecken sowie die offen ausgebreitete Erdgeschichte der vergangenen 10 Millionen Jahre sind nur einige der Highlights, die mit der Morsumer Heide und dem Kliff in Zusammenhang stehen.

Wer am Parkplatz Nösse in Morsum loswandert, erreicht kurz hinter dem Hotel „Landhaus Severin´s“ das fast 23 Meter hohe Morsum Kliff. Nach ausgiebigem Rundblick über die wasserbedeckten, jedoch bei Ebbe blauschwarzen und trocken gefallenen Watten, lohnt ein Spaziergang auf dem Kliff Richtung Osten, also Richtung Festland. Nach kurzem Weg steht der Betrachter im Zentrum des Bunten Kliffs: dunkle Tone sowie durch Eisenoxide braun gefärbte Sande sind Zeugen der Erdgeschichte, als der Raum „Sylt“ noch Teil einer frühen Ur-Nordsee war. Der helle Quarzsand, der auf Sylt auch als Kaolinsand bezeichnet wird, stammt im Gegensatz zu den marinen Sedimenten nicht von hier, sondern ist vor vier bis drei Millionen Jahren per Flussfracht aus Südfinnland und dem Baltikum hierhergekommen. Alle drei Formationen sind erst während der letzten Eiszeiten durch den enormen Druck der Gletscher zerbrochen, verfaltet und schräg geschichtet worden, so wie sie heute noch zu sehen sind.

Dass der tiefere Untergrund so spannend aussehen könnte, erahnte vor 10.000 Jahren bestimmt noch niemand. Der Meeresspiegel lag über 100 Meter niedriger als heute und somit war die Nordsee hunderte Kilometer von Sylt entfernt. Erst als am Ende der letzten Eiszeit die Temperatur urplötzlichstark anstieg, setzten ausgiebige Abschmelzprozesse der Gletscher ein und die ansteigende Nordsee näherte  sich Sylt. Dadurch konnte sich auch in Morsum durch das Anbranden des Wassers ein Kliff bilden. Am Morsum Kliff, einem der wenigen noch aktiven Kliffe der Insel, sieht man augenblicklich nur vor dem rotbraunen Sand eine steile Abbruchkante. Damit in Zukunft mal wieder eine durchgehende Kliffkante entstehen kann, bedarf es eines neuerlichen Orkans: entweder wie bei „Xaver“ (Dez. 2013) oder noch besser wie bei „Anatol“ (Dez. 1999), als sich nach 10 Meter Abbrüchen eine bis fünf Meter hohe und gänzlich neue Steilküste ausgebildet hatte.

Einen zusätzlichen Schutz für das Morsum Kliff, so wie es die Sandaufspülungen mit ihrem künstlichen Sand vor dem Roten Kliff in Kampen darstellen, wird von den Gremien der Insel nicht angestrebt. Da in der Nähe des Kliffs Menschen nicht direkt zu Schaden kommen können und zumindest momentan auch keine Sachwerte zu verteidigen sind, soll beim Morsum Kliff die Schönheit dieses von der Akademie der Geowissenschaften zum „Nationalen Geotop“ erklärten Steilufers ganz eindeutig im Vordergrund stehen.

Das Kapitänsdorf Keitum besitzt ebenfalls ein Kliff. An der Grenze zwischen der mit Steinen und Findlingen übersäten alteiszeitlichen Geest und dem Wattenmeer verläuft ein altes, vermutlich seit Jahrhunderten nicht mehr aktives Kliff, das zum Teil von Gras bewachsen ist und deshalb liebevoll das Grüne Kliff genannt wird. An seinem Fuß lag bis 1859 der bedeutendste Hafen von Sylt. Durch seine fortschreitende Verschlickung musste dieser Hafen schließlich aufgegeben werden. Nur das auf dem Kliff thronende weiße Packhaus des Hafenmeisters erinnert heute noch an die Bedeutung dieses Liegeortes für Frachtkähne und Segelboote.

Wenn wir heute feststellen, dass ja auch dies Kliff in längst vergangener Zeit einmal durch das Anbranden des Meeres entstanden sein muss, so kann das nur bedeuten, dass „damals“ entweder das Meer höher auflief, oder das niedriger gelegene Land sich gehoben haben müsste. Von einer rezenten Landhebung weiß man in Fachkreisen nichts. Damit steht fest, dass zu Zeiten der Kliffbildung in Keitum, genau wie bei der Kliffbildung nördlich von Kampen – jeweils auf der Wattseite-  deutlich höhere Wasserstände geherrscht haben müssen, als es heute der Fall ist.

Schnell wächst die Erkenntnis, dass Kliffe nur entstehen können, wenn gleichzeitig das feste Land angeknabbert wird und an Substanz verliert. Andererseits sind Kliffe herrliche Aussichtspunkte auf das neu entstehende Meer, bzw. das Watt. So liegt die Faszination natürlich auch sehr stark in dem Bewusstsein, dass jeder Punkt auf der Kliffkante nur eine Momentaufnahme darstellt, die über kurz oder lang ihren Weg in die Weiten der rauen Nordsee finden wird.

Dr. Ekkehard Klatt;    www.geotourssylt.de