Nationalparkthemenjahr 2018: „Muscheln und Schnecken“ , Folge 4
100.000 Muschelarten gibt es auf der ganzen Welt, nur 15 davon im Nationalpark Wattenmeer. Trotzdem spielen die Weichtiere mit der harten Schale eine zentrale Rolle in diesem Ökosystem. Ihre wöchentliche Filterleistung entspricht dem gesamten Wasservolumen des Wattenmeeres, sie sind also eine große biologische Kläranlage. Anlässlich des Themenjahres „Muscheln und Schnecken“ wird Biologe Rainer Borcherding monatlich über die Welt der Weichtiere im Nationalpark Wattenmeer berichten.
Tier des Monats April: Die Wellhornschnecke
Wer im April nach einer hohen Flut am Spülsaum entlang geht, wundert sich vielleicht über apfelgroße gelbliche Klumpen, die vom Meer „ausgespuckt“ worden sind. Jeder Klumpen besteht aus zahlreichen, etwa einen Zentimeter großen Blasen. Deren meist gelblich-weiße Füllung sind winzige Eier. Sie stammen von unserer größten Meeresschnecke, der Wellhornschnecke.
Die Weibchen haben im Winter ihre Eiballen am Meeresgrund an Steine oder Muschelschalen geheftet. Jeder Eiballen besteht aus 100 bis 300 pergamentartigen Blasen, die so locker übereinandergestapelt sind, dass Meerwasser mit Sauerstoff bis zu den innersten Eiern vordringen kann. In jeder Blase befinden sich etwa 300 winzige Eier, die eine mehrmonatige Entwicklung durchlaufen. Die ersten etwa zehn Jungschnecken, die in einer Blase schlüpfen, fressen ihre Geschwister-Eier auf, so dass sie gestärkt in die feindliche Welt hinaustreten können. Wenn sie sich einen Ausgang aus ihrer Pergamentblase nagen, sind die Babyschnecken etwa einen Millimeter groß. Die verlassenen Eiballen sind weißlich und wurden an der Nordsee früher wie Badeschwämme verwendet. Die Jungschnecken fressen Fleisch, sowohl Aas als auch kleinere Beutetiere, und wachsen je nach Ernährung unterschiedlich schnell heran. Nach zwei bis drei Jahren erreichen sie die Geschlechtsreife, das Höchstalter dürften zwischen zehn und 15 Jahren sein. Ihren Namen hat die Wellhornschnecke wegen der wellenförmigen Rippen auf dem Gehäuse, das in der Form an ein kurzes Kuhhorn erinnert.
In der südlichen Nordsee gibt es derzeit kaum lebende Exemplare der Art, weil Tributylzinn, ein Gift aus Schiffsanstrichen, über Jahrzehnte das Meer vergiftet hat. Die Zinnverbindung wirkt auf den Hormonhaushalt vieler Meeresschnecken und macht die Weibchen unfruchtbar. Dass doch immer wieder größere Mengen von lebenden Eiballen angespült werden, lässt hoffen, dass die Wellhornschnecke sich von diesem Bestandseinbruch erholen wird.
Rainer Borcherding, Schutzstation Wattenmeer