Nationalparkthemenjahr 2018: „Muscheln und Schnecken“ , Folge 3

100.000 Muschelarten gibt es auf der ganzen Welt, nur 15 davon im Nationalpark Wattenmeer. Trotzdem spielen die Weichtiere mit der harten Schale eine zentrale Rolle in diesem Ökosystem. Ihre wöchentliche Filterleistung entspricht dem gesamten Wasservolumen des Wattenmeeres, sie sind also eine große biologische Kläranlage. Anlässlich des Themenjahres „Muscheln und Schnecken“ wird Biologe Rainer Borcherding monatlich über die Welt der Weichtiere im Nationalpark Wattenmeer berichten.

Große Fadenschnecke Aeolidia papillosa auf einer Muschelschale

Große Fadenschnecke Aeolidia papillosa auf einer Muschelschale

Tier des Monats März: Frühling der Fadenschnecken

 In manchen Jahren sind ab März an Muschelbänken im Watt oder angespült am Strand seltsame zottige Tiere zu finden. Sie sind vier bis zehn Zentimeter groß und haben eine körperlange Kriechsohle, was sie als Nacktschnecken kennzeichnet. Meist sind die Tiere dicht graubraun punktiert, aber es gibt auch helle und sogar leuchtend gelbe Varianten.

Am Kopf der Fadenschnecke sitzen vier Fühler, auf ihrem Rücken viele kräftige Fransen. Diese Zotten enthalten Darmfortsätze, in denen funktionierende Nesselkapseln gespeichert sind, die aus der Nahrung der Großen Fadenschnecke stammen: von Seenelken und anderen Blumentieren.

Die Fadenschnecke kann aus einigen Zentimetern Entfernung ihre Beutetiere wittern. Kriecht sie auf das Nesseltier zu und berührt dabei die brennenden Fangarme, zuckt die Schnecke zunächst zurück. Sie scheint also durchaus den Schmerz der Nesseln zu spüren. Hat die Schnecke mindestens einen Tag lang nichts gefressen und ist somit hungrig, kriecht sie aber sofort wieder vorwärts. Bevorzugt beißt sie in den säulenförmigen Körper des Blumentiers. Dieses versucht seinerseits, sich von der Schnecke weg zu beugen oder sogar seine Unterlage ganz loszulassen und sich der Strömung anzuvertrauen. Es gibt auch Blumentiere, die in hektische Fluchtbewegungen ausbrechen und dabei die beachtliche Geschwindigkeit von einigen Zentimetern pro Stunde erreichen. Dies reicht allerdings nicht aus, um vor der Großen Fadenschnecke zu fliehen. Sie verspeist die Blumentiere ganz oder teilweise und frisst dabei die in Schleim gehüllten und nicht explodierten Nesselzellen mit, um sie in ihre Rückenzotten einzulagern. Von vielen Meeres-Nacktschnecken ist bekannt, dass sie die Gifte ihrer Beutetiere zum eigenen Schutz nutzen.

Die Große Fadenschnecke ist im Frühjahr erwachsen und laicht auf Muschelbänken in Form spiraliger Eischnüre. Die winzigen Larven schwimmen im Plankton umher und müssen geeignete Muschelbänke mit Seenelken finden, um dort zu einer neuen Schneckengeneration heranzuwachsen. Bis vor kurzem nahm man an, die Große Fadenschnecke sei weltweit ziemlich verbreitet, von Chile bis Kanada. Mittlerweile weiß man aber, dass es sich um mehrere ähnlich aussehende Arten handelt. Schon an den Felsküsten Englands und Frankreichs lebt die ähnliche Gelockte Fadenschnecke, die auf der Stirn ein weißes „V“ trägt. Bei der nordamerikanischen Fadenschnecke stellten Forscher fest, dass in ihren Rückenzotten grüne Einzeller, sie sie mit den gefressenen Nesseltieren aufgenommen hat, weiterhin Photosynthese betreiben. Allerdings pflegt die Schnecke diese „Nützlinge“ offenbar nicht allzu sorgfältig: Lässt man die Schnecken zehn Tage hungern, sind danach alle Algenzellen verdaut. Fadenschnecken sind also bis auf weiteres Raubtiere, keine Kleingärtner mit Algenkulturen auf dem eigenen Rücken.

 

Rainer Borcherding, Schutzstation Wattenmeer

Naturschutz auf Sylt, Folge 6: Der Nössekoog – das grüne Herz von Sylt

Nössekoog Übersicht

In einer Serie stellt die Naturschutzgemeinschaft Sylt und die Söl’ring Foriining das Thema „Natur auf Sylt“ in seiner ganzen Bandbreite in der Sylter Rundschau dar. Erschienene Artikel werden auf natuerlichsylt.net veröffentlicht und archiviert. Es werden Institutionen und Vereine vorgestellt und auch  Menschen, die sich für die Sylter Natur einsetzen.

In der sechsten Folge gibt Dr. Thomas Luther, Vogelexperte und Augenarzt auf Sylt,  einen Überblick über die Entwicklung des Nössekooges (Tinnumer Wiesen).

 

 Von Tränkekuhlen, freiem Horizont und Kampfläufern

„Lasst uns zu den Kampfläufern fahren!“ – Früher haben viele Sylter ihre Kinder eingepackt und sind in die Wiesen zwischen Tinnum und Morsum gefahren, um im Frühjahr ein ganz besonderes Schauspiel zu beobachten: das Balzturnier des Kampfläufers. Hier lieferten sich auf den feuchten Wiesen zwischen Wollgrasbulten die ganz verschiedenfarbigen Männchen mit aufgestellten Halskrausen einen wilden Kampf um die Weibchen. Es flogen die Federn, als in hoher Geschwindigkeit gesprungen, ausgewichen und umherstolziert wurde. Leicht war es, diese Turniere mitzuerleben, da sich die Vögel auf den immer gleichen traditionellen Plätzen einfanden.

Kampfläufer

Das ist nun schon dreißig Jahre her, dass hier der letzte Kampfläufer seine Jungen aufzog, er ist inzwischen in Deutschland als Brutvogel fast komplett ausgestorben. Dennoch ist der Nössekoog noch immer ein sehr bedeutendes Brutgebiet für andere bedrohte Wiesenvögel.

Dieses grüne Stück Land, das sich von den Ostdörfern nach Süden hin bis zum Wattenmeer erstreckt ist 1936, auch im Zuge der Entstehung des Rantum Beckens eingedeicht worden. Es ist Marschland. Die alten Priele, die nun als Entwässerungssiele die Wiesen durchziehen und die Warften, auf denen viele der alten Häuser noch ruhen, erinnern an den früher regelmäßigen Kontakt mit der Nordsee.

Im Auto, bei Tempo 100 auf der Bäderstraße, lässt sich dieses Terrain nicht hinreichend erschließen. Wenn man zu Fuß oder auf dem Fahrrad unterwegs ist und sich Auge und Ohr langsam wirklich öffnen, der Morgennebel noch über den Flächen liegt, dann beginnt sich der Zauber dieser auf den ersten Blick eintönigen Wiesenlandschaft zu entfalten.

Über die Jahre wurde hier das anfänglich umgebrochene Ackerland vermehrt wieder zu Grünland, da durch die Nässe in den Niederungen der Ertrag zu gering und der Aufwand zu groß war. Heutzutage werden die Flächen größtenteils als Weideland für Robustrinder und Pferde und zur Heumahd genutzt. Im Gegensatz zum Watt oder zur Dünen- und Heidelandschaft ist der Nössekoog also keine Natur- sondern eine Kulturlandschaft, der erst durch die menschliche Nutzung zu diesem einzigartigen Lebensraum werden konnte. Regelmäßige, behutsame, also extensive landwirtschaftliche Nutzung ist absolute Grundvoraussetzung zum Fortbestehen dieser Landschaft. Würde sie unterbleiben, wüchsen innerhalb weniger Jahre Gebüsche und Gehölze so hoch, dass der ursprüngliche Charakter mit seinen freien Sichtachsen mit ungehindertem Horizontblick für Mensch und Tier verloren gehen würde.

Und dieser freie Blick über weite Distanzen ist unabdingbar für das Überleben der vielen seltenen Vogelarten. Zu den in Europa am stärksten gefährdeten Vogelgattungen, die eben gerade im Nössekoog beheimatet sind, gehören die Wiesenvögel wie Kiebitz, Austernfischer, Rotschenkel, Bekassine und Uferschnepfe. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten auf dem Festland durch Intensivierung der Landwirtschaft, Trockenlegung und Umwandlung von Grünland in Ackerland (zum Beispiel zum Anbau von Mais zur Biogasgewinnung) sehr viele ihrer angestammten Brutgebiete verloren. Die Einbrüche sind verheerend, viele Wiesenvogelarten haben in den letzten dreißig Jahren über 90% ihres Bestandes eingebüßt. Viele Arten sind in Mitteleuropa ausgestorben oder stehen kurz vor dem Aussterben.

Der Nössekoog gilt als eines der zehn wertvollsten Gebiete für die Uferschnepfe Uferschnepfelandesweit. Während auf dem Festland die meisten der für die Wiesenvögel wichtigen Gebiete unter Schutz stehen, gilt für den Nössekoog weder Natur- noch Landschaftsschutz. Das Besondere ist hier, dass Landwirte freiwillig Wiesenvogelschutzprogrammen beitreten, in denen Düngung, Menge des Viehbesatzes und Mähtermine geregelt sind. Jäger verzichten aus freien Stücken auf Aufforstung; Ausgleichsmaßnahmen für Bauprojekte auf der Insel werden hier umgesetzt, der Bauhof reduziert die Gebüsche an den Wegen, um den ursprünglichen Charakter dieser Landschaft zu erhalten.

Es werden sogenannte Tränkekuhlen angelegt – flache Wasserstellen in den Wiesen, um das Nahrungsangebot für Jungvögel zu erhöhen, aber auch den selten gewordenen Amphibien  wie zum Beispiel dem Moorfrosch eine Heimstatt zu geben.

Der Bruterfolg aller Wiesenvögel in den letzten Jahren war sehr gering. Daher ist es so wichtig, die Chancen zur Aufzucht der Jungen zu verbessern. Jäger versuchen die Bestände der Bodenfeinde zu begrenzen und Nistmöglichkeiten für Krähen und Greifvögel sollten gar nicht erst entstehen.

Werden Schutzmaßnahmen konsequent umgesetzt, zeigen sich zum Beispiel am nahen Festland schon wieder erste Erfolge. Vielleicht können wir demnächst auch wieder unseren Kindern zurufen: „Lasst uns zu den Kampfläufern fahren!“

 

Nationalparkthemenjahr 2018: „Muscheln und Schnecken“ , Folge 2

100.000 Muschelarten gibt es auf der ganzen Welt, nur 15 davon im Nationalpark Wattenmeer. Trotzdem spielen die Weichtiere mit der harten Schale eine zentrale Rolle in diesem Ökosystem. Ihre wöchentliche Filterleistung entspricht dem gesamten Wasservolumen des Wattenmeeres, sie sind also eine große biologische Kläranlage. Anlässlich des Themenjahres „Muscheln und Schnecken“ wird Biologe Rainer Borcherding monatlich über die Welt der Weichtiere im Nationalpark Wattenmeer berichten.

Zwiebelmuscheln

Zwiebelmuscheln

Tier des Monats Februar: Der Geruch der Zwiebelmuschel

Winterstürme spülen immer wieder große Müllteile an die Nordseeküste, die Monate oder Jahre auf dem Meer unterwegs gewesen sind. Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf diese Objekte, wie z.B. eine große Plastikfischkiste zu werfen, die mit einer Vielzahl von Meerestieren bewachsen sein können. Neben Seepocken, Kalkröhrenwürmern und moosartigen Polypenstöcken kleben darauf mitunter flache weiße Kalkdeckelchen von einem bis zwei Zentimetern Durchmesser. Einige Tage nach der Strandung der Fischkiste heben sich die Deckelchen und riechen nach toter Muschel. Die Strandungsopfer sind Zwiebelmuscheln, eine Muschelart mit ungewöhnlicher Körperform. Ihre rechte Schale ist flach und schmiegt sich dem Untergrund an – einem Felsen, einem Krebspanzer oder eben einer Fischkiste. Falls sie in einer Herzmuschel sitzt, übernimmt die Zwiebelmuschel das Strahlenmuster des Untergrundes und wird selbst strahlenförmig gestreift. Die linke Schale ist leicht gewölbt und sitzt als schützender Deckel über dem Weichkörper. Als Befestigung dient der Muschel ein Kalkstab, der durch ein Loch in der unteren Schalenklappe am Untergrund festgeklebt ist. Keine andere Muschelfamilie auf der Welt hat ein Loch in der Schale, durch das sie sich am Wohnort festklebt. Der Name „Zwiebelmuschel“ kommt daher, dass die Muschel oft silbrig weiß ist und Ringe zeigt wie eine halbierte Zwiebel.

 

Da Zwiebelmuscheln nur auf Hartgrund leben, sind sie im Wattenmeer nicht heimisch. Die auf Treibgut angespülten Exemplare kommen aus Westeuropa, wo sie sich als Larven auf dem Meeresmüll angesiedelt haben, als dieser an Felsküsten vorbeidriftete. Es gibt drei verschiedene Arten von Zwiebelmuscheln in der Nordsee, von denen die Zierliche Zwiebelmuschel am häufigsten auf Fischkisten und Plastikmüll anzutreffen ist.

 

Rainer Borcherding, Schutzstation Wattenmeer

Naturschutz auf Sylt, Folge 5: MIND THE GAP: wer schliesst die Walschutzlücke?

Zeichnung Martin Camm

Schweinswal Phocoena phocoena, Zeichnung: Martin Camm

In einer Serie stellt die Naturschutzgemeinschaft Sylt und die Söl’ring Foriining das Thema „Natur auf Sylt“ in seiner ganzen Bandbreite in der Sylter Rundschau dar. Erschienene Artikel werden auf natuerlichsylt.net veröffentlicht und archiviert. Es werden Institutionen und Vereine vorgestellt und auch  Menschen, die sich für die Sylter Natur einsetzen.

In der fünften Folge gibt Lothar Koch, freier Biologe und Autor einen Überblick über das Walschutzgebiet im Nationalpark Wattenmeer vor der Insel.

 

 

Zum Sylter Walschutzgebiet – Geschichte und aktueller Status

MIND THE GAP!– Achtung Sicherheitslücke! so schallt es über die Lautsprecher der Londoner U-Bahn, wenn der Zug in den Bahnhof eingefahren ist. Zwischen Zug und Bahnsteig bleibt für die Ein-und Austretenden oft ein gefährlicher Spalt.

Ähnliches möchte man den Sylter Schweinswalen zurufen, wenn sie im Sommer mit ihren frisch geborenen Kälbern durch die warmen Priele direkt entlang des Sylter Strandes ziehen und Sandaalen nachjagen: MIND THE GAP!

Ja, es gibt eine Sicherheitslücke für die streng geschützte Tierart- trotz Walschutzgebiet. Und die ist 150 Meter breit und liegt genau entlang des Sylter und Amrumer Strandes.

Woran das liegt, erklärt die Entstehungsgeschichte des Walschutzgebietes.

Ein Blick zurück:

Die 1980iger Jahre waren  an der Küste von hitzigen Debatten um Wattenmeer- und Nordseeschutz geprägt. Ein jahrelanges Gerangel um die Idee, ein Großschutzgebiet als  Nationalpark im deutschen Wattenmeer einzurichten, brachte  Fischer, Jäger, Touristiker, Skipper und alteingesessenen Insulaner auf die Barrikaden. 1985 wurden in Schleswig-Holstein Kompromisse zwischen „Schützern“ und „Nutzern“ geschlossen, um das Vorhaben hier doch noch zu realisieren. Ein wesentlicher Punkt lag darin, dass sämtliche Inseln und große Halligen nicht Teil des Nationalparkes werden und die Grenze des Parkes 150 m seewärts  der MTHW-Linie von Inseln und Küste gezogen würde. Ökologisch unsinnig, aber politische Notwendigkeit.

Eine erste Novellierung des Nationalparkgesetzes stand knapp 15 Jahre später an. Das Landesamt für den Nationalpark hatte die Jahre genutzt, um das Großschutzgebiet im Detail zu erforschen. Die zahllosen Ergebnisse dieser Ökosystemforschung und weitere Streitereien um Nutzungsinteressen machten erhebliche Anpassungen im Gesetz erforderlich. Der sogenannte „150 Meter-Streifen“ blieb jedoch unangetastet, obwohl in Niedersachsen Teilflächen der Inseln inzwischen in den dortigen Nationalpark Wattenmeer integriert worden waren.

Meeressäuger rücken in den Fokus

In Schleswig-Holstein, insbesondere auf Sylt,  hatten Naturschützer während der Forschungsjahre ihren Blick über den „Tellerrand“ des klassischen Wattenmeeres, auf die offene Nordsee hinaus gerichtet. Der Grund war auch eine Epidemie unter den Seehunden, die 1988 bundesweit für drastische Empörung angesichts der sterbenden „Nordsee-Kuscheltiere“  gesorgt hatte. Allein vom Sylter Strand wurden rund 800 Kadaver in wenigen Wochen der Hauptsaison geborgen. Am Ende waren es 23 000 im gesamten Gebiet der Epidemie. Dies geschah gerade in dem Sommer, der einer Internationalen Nordseeschutzkonferenz in London (Herbst 1987) folgte, zu der sowohl die Natur-und Umweltverbände der Küste, als auch Gemeindevertreter und Nordseebäderverbände reisten, um gemeinsam für eine „saubere Nordsee“ zu protestieren. Das Seehundsterben wirkte demzufolge wie eine brutale Bestätigung all dieser Bemühungen um ein Müll- und schadstofffreies Hausmeer, denn die Seehundstaupe grassierte auf der Basis eines Tierbestandes, dessen Immunsystem durch enorm hohe Schadstoffwerte geschädigt war.

Das Augenmerk lag also ab jetzt mehr auf den Meeressäugern, statt auf den Vögeln und Wattwürmern. Als hätte diese Tiergruppe der Nordsee das Interesse wahrgenommen, rückten ab 1989 plötzlich zwei weitere Meeressäugetierarten in den Fokus, die bislang kaum eine Rolle in den Debatten um den Nationalpark gespielt hatten: Die Kegelrobben und Schweinswale. Der Fund einer kleinen neugeborenen Kegelrobbe im Winter 1988/89 an der Hörnum Odde war der Auftakt eines Kegelrobben-Schutzprojektes der Schutzstation Wattenmeer. Und wenige Monate später folgte ein Schweinswalprojekt.

Ein internationales Forschungsgutachten, das die Sorge um Kleinwale in der Nordsee zum Ausdruck gebracht hatte, sowie eine erhöhte Rate von Schweinswal-Totfunden an sylter Stränden motivierte den WWF, das Nationalparkamt und die Schutzstation Wattenmeer damals zur Herausgabe eines Zählbogens für diese bislang weitgehend übersehenen Meeressäuger. In den Folgejahren zog die Schutzstation Wattenmeer gemeinsam mit anderen sylter Verbänden eine Schweinswal-Synchronzählung auf, bei der vierzehntäglich an 20 festen Beobachtungspunkten entlang des Sylter Strandes gleichzeitig nach Walen Ausschau gehalten wurde. So entstanden die ersten belastbaren, statistischen Zahlen zum Kleinwaldbestand vor Sylt.

Inzwischen hatten rund um die Nordsee Walschützer und Universitäten ihre Forschungsaktivitäten in Hinblick auf die Kleinwale verstärkt. Das führte im Jahre 1994 zu SCANS, der ersten international koordinierten Erfassung von Walen in Nord-und Ostsee.

Das Ergebnis bestätigte die bereits von den lokalen Verbänden geäusserten Thesen: Vor Sylt schälte sich ein nordseeweiter „Hotspot“ für diese Tierart heraus, der eindeutig als „Kinderstube“, also Kalbungsgebiet identifiziert werden konnte. Damit landete die Verantwortung für den Schutz dieser Tierart in unseren nationalen Gewässern bei Schleswig-Holstein und letztendlich auch bei den Syltern.

Bald folgten weitere Forschungsergebnisse zu Seehunden, Kegelrobben, Hochseevögeln und Bodenorganismen des Sylter Riffs, die die Bedeutung des Seegebietes vor Sylt und Amrum für den Jahreszyklus zahlreicher Tiergruppen heraus stellten.

Die Forderung nach einem Walschutzgebiet wird formuliert

neue interaktive Infofotafeln am Walschutzgebiet auf Sylt

Info-Stele des neuen interaktiven sylter Walpfades/Foto:Koch

Info-Stele des neuen interaktive sylter Walpfades/Foto:Koch

Durch diese Fakten beschleunigt, wurden die Schweinswale zum Motor einer Forderung, die wenige Jahre zuvor niemand zu äussern gewagt hätte:

Stellt das offene Meer vor Sylt vorsorglich flächenhaft unter Schutz! Ziel: die Bewahrung als intaktes Rückzugs- Nahrungs-, Kalbungs- und Rastgebiet für Schweinswale, Robben und Hochseevögel.

Bislang war die Nordsee schliesslich nur als Badegewässer, Schifffahrtsstrasse und Fischereigebiet wahrgenommen worden. Die Gunst der Stunde wurde genutzt, mit der Novellierung des Nationalparkgesetzes im Jahre 1999 das erste europäische Walschutzgebiet, ausgerechnet vor Sylt und Amrum, auszuweisen. Als Bestandteil des Nationalparkes, erhielt es dann 2009 auch den Segen der UNESCO mit dem Siegel  „Weltnaturerbe“.

Kurz nach Einrichtung des Walschutzgebietes brach  das „Windhunderennen“ um die besten Bauplätze für Offshore Windparks los. Der zügigen Einrichtung des Walschutzgebietes  ist es zu verdanken, dass das Seegebiet vor unserer Insel bis zur 12 Seemeilen-Landesgrenze von vornherein dafür tabu war und wir auch in Zukunft keine Industrieanlagen in Strandnähe zu befürchten haben.

Alles gut- eine Erfolgsgeschichte des Naturschutzes, könnte man meinen, aber –

MIND THE GAP! Es gibt dennoch Gefährdungspotential für die Kleinwale und andere Nordseetiere:

– Die Meeresschutzgebiete des Bundes (FFH), die unmittelbar nordwestlich an das Walschutzgebiet des Landes anschliessen, wurden erst 2007 eingerichtet, Jahre nachdem der Windpark Butendiek schon genehmigt war. Der Windpark mit 80 Anlagen hat Bestandsschutz und steht etwa 19 Seemeilen entfernt der Insel. Er ist ein eklatanter Wermutstropfen im Vogelschutzgebiet „Östliche Deutsche Bucht“. Die Offshoreanlagen haben während der Bauzeit negative Auswirkungen auf die Schweinswale in ihrer Umgebung gehabt. Die Versorgung des Parkes mit sehr schnellen Transportschiffen, könnte sich permanent negativ auf die Schweinswale entlang der Schiffahrtsroute auswirken.

– Durch die Ausweitung des Nationalparkes bis zur 12 Seemeilenlinie hat sich die 150-Meter Klausel nicht aufgelöst. Der schmale Meeres-Streifen entlang der Strände, der von den Schweinswalen so gern genutzt wird, ist vor Sylt lediglich durch eine lockere Vereinbarung der Gemeinden geschützt, die hier den Einsatz von schnellen Flitzern, also Jetskis, Bananaboats, Rennbooten und ähnliches nicht dulden wollen. Vor eindeutig erkennbaren Badestränden bietet die Seewasserstrassenverkehrsordnung einen gewissen Schutz durch ein Tempolimit von 8 Knoten. Ausnahmeregelungen für Not-Einsätze und bei speziellen Regatten bleiben erlaubt.  Die Kontrollen sind dürftig und wer garantiert, dass diese Absprachen nach der nächsten Kommunalwal so bleiben?

-Untersuchungen, inwieweit sich schnelle Wasserfahrzeuge, also auch Kiter und Windsurfer auf das Verhalten von Walen und Walkälbern auswirken wurden bislang nicht in Auftrag gegeben. Demzufolge werden diese auch nicht im Walschutzgebiet reglementiert. Zu einer neuen Gefahrenquelle könnten neue motorisierte Wassersportgeräte werden, wie z.B. elektrobetriebene Surfbretter und andere Erfindungen dieser Art, die schnell Trendsport werden können und dann von Gemeinden kaum regulierbar sind.

– Das Walschutzgebiet mit einer entsprechenden Befahrensregelung ist als solches  bis heute nicht in die offiziellen Seekarten der Schiffahrt eingetragen worden. Dies soll nun dieses Jahr durch den dafür zuständigen Bund geschehen. Die neue Befahrensregelung bleibt im 150-Meter-Streifen jedoch unwirksam.Walschutzgebiet

Walgefährdende Fischerei ist im Walschutzgebiet bislang immer noch nicht gänzlich ausgeschlossen. Grund dafür ist die Zuständigkeit von Bund und EU hinsichtlich des Fischereirechtes. Das Land hat die Möglichkeit genutzt, walgefährdende Stellnetzfischerei bis zur Drei-Seemeilengrenze für alle und  bis zur 12 -Sm-Grenze für deutsche Fischer, zu verbieten. Die Internationale Fischerei kann jenseits der 3 Seemeilen Zone jedoch bislang national nicht eingeschränkt werden. Das wäre nur per EU-Verordnung machbar. Angeln und Stellnetzfischerei ist vom Strand aus weiterhin mit Lizenz erlaubt.

– Nach wie vor werden rund 100 Schweinswale pro Jahr tot am Sylter Strand geborgen-viele davon sind stark schadstoffbelastet und von Parasiten durchseucht. Deshalb müssen die Forderungen des Nordsees-Umweltschutzes weiter verfolgt werden.

– eine umfassende und angemessene Bürger-Information am Schutzgebiet blieb das Land Schleswig-Holstein der Insel bis zum Jahre 2016 schuldig. Nun soll im Frühjahr 2018 die Errichtung eines Sylter Wal-Indopfades mit hochwertigen interaktiven Stelen und Pulten direkt  am Gebiet abgeschlossen werden.

– nach wie vor fehlt ein umfassender Management- und Entwicklungsplan für das Gebiet.

– Eine ausreichende Kontrolle und Beforschung des Walschutzgebietes ist nicht gegeben.

Fazit: MIND THE GAP!

Einrichtung des Walschutzgebietes war die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt. Sie hatte keinerlei negative Auswirkung auf touristische Belange (im Gegenteil!) und notwendige Maßnahmen des Küstenschutzes. Es bleibt aber noch viel zu tun, um Sicherheitslücken für Kleinwale und andere Tiergruppen verlässlich zu schliessen. Ein Management-und Entwicklungsplan könnte helfen, vorsorglich die richtigen Maßnahmen zum Schutz des Meeresgebietes zu ergreifen. Das käme in jedem Fall auch der Insel zu Gute, denn gute ökologische Badewasserquälität und biologische Vielfalt ist ein wichtiges Kapital.

Ein guter Schritt, der Sylt glaubwürdig als „die Insel der Nordseeschützer“ auszeichnen würde, wäre  die Übernahme einer offiziellen und engagierten Schirmherrschaft der Sylter Gemeinden und ihrer Tourismuseinrichtungen für „Wal- und Meeresschutz im 150-Meter-Streifen“. Das könnte schnell zu einer Win-win Situation für Natur und Tourismus führen, wenn  die Schirmherrschaft mehr als ein symbolisches Markenzeichen würde.

Lothar Koch

der sylter Biologe und Buchautor  war als Verantwortlicher der Schutzstation Wattenmeer zwischen 1988 und 2003 federführend im Einsatz für das Walschutzgebiet. Heute engagiert er sich weiter ehrenamtlich für die Meeressäuger u.a. als Vorstandsmitglied im Freundeskreis des Naturerlebniszentrums für Naturgewalten/List.

Infokasten

Das Walschutzgebiet
– 1999 als Teil des Nationalparkes SH-Wattenmeer eingerichtet und erstes Walschutzgebiet Europas. Zuständig ist das Land Schleswig-Holstein.
– Es erstreckt sich über 1562 qkm von der Dänischen Grenze bis südlich von Amrum und bis zur 12 Seemeilen-Landesgrenze entlang der Inselstrände 150 m entfernt der MTHW-Linie.
Schweinswale
– stehen unter strengem Schutz des Anhang II und IV der Flora-Fauna Habitat-Richtlinie der EU
– stehen über das Bundesgesetz zum Schutz der Kleinwale in Nord-und Ostsee, dem Gesetz zum Schutz wandernder Tierarten und dem EU-ASCOBANS-Abkommen der Nord- & Ostseeanrainerstaaten unter Naturschutz- und auf der Internationalen und nationalen „Roten Liste für gefährdete Tierarten“.

Ritter Robert und die Niederschlagung der Schweinepest anno 2018

Schleswig-Holstein rüstet auf gegen die afrikanische Schweinepest. Die Massentierhalter des Landes haben ins Horn gestossen und zum Hallali auf Wildschweine geblasen. Die Gefahr kommt wie immer aus dem Osten und bringt nichts Gutes: böse kleine Keime, die unsere lieben deutschen Hausschweine töten können.

Umweltminister Robert Habeck sattelt den Krisenhengst, klappt das Visier runter, um nicht von Tierschutz, Naturschutz oder gar philosophisch-ökologischen Thesen abgelenkt zu werden. Er konzentriert sich jetzt ganz auf seine Aufgabe als „Retter der Schweine“.

Die Schonzeit ist ganzjährig vorbei. Zäune sollen gezogen werden, die Grünröcke werden aus der Reserve gerufen und mit Waffen versorgt, die Wälder werden bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet, hohe Prämien ausgesetzt: Der Feind ist das wilde Schwein, dass aus dem Osten kommt und Grässliches aus den afrikanischen Dreckslöchern (Zitat: Trump) einschleppt. Diese Aktion ist doch die Gelegenheit, die einstige Grünen-Schlappe mit dem Veggie-Day wieder wett zu machen und einmal mehr das Image bei Bauern, Jägern und Schweinenackenverzehrern wieder aufzupolieren.

„Wir müssen jetzt unsere Aussengrenzen schützen! Null-Obergrenze für einwanderndende Wilschweine!“, heisst es, sonst sind die heimischen Schweine in Gefahr.

Aber welche Schweine sind gemeint? Etwa die 1,5 Millionen gequälte Kreaturen die ein unwürdiges Schweineleben in Landes-Massentierhaltung fristen. Glaubt ihr wirklich, dass die eine Schweinepest mehr fürchten, als den Bolzenschuss? Nein, es sind die Schweinehalter selbst gemeint. Deren Vermögen soll gerettet werden. Der Zeitpunkt ist gekommen, wo den Massentierhaltern in Deutschland die Schweinescheisse um die Ohren fliegt. Ich sag nur: Gülle, Gülle! Sie handeln mir ihrer eigenen Scheisse jetzt schon an der Börse, um auch daran noch zu profitieren. Jetzt soll der Steuerzahler auch  noch die Sicherheitsmassnahmen für die Schweine-KZs  berappen: Die richtige Antwort wäre es, Massentierhaltung zu verbieten, die als „Monokultur“ nur mit massiven Medikamenteneinsatz gegen Parasiten, Viren etc aufrechterhalten werden kann.

Achtung Satire-Teil:
Ich plädiere dafür, dass Sylt aus humanitären Gründen ein Kontingent flüchtender Wildschweine aufnimmt, sagen wir so 800 -1000. Schliesslich halten wir das Problem der Massentierhaltung mit unserer Inselgastronomie mit aufrecht. Es gibt doch einen Fachkräftemangel auf der Insel und Schweine werden überall gebraucht: in der Gastronomie zum trockenen Rotwein oder in den Kurbetrieben zur Strandreinigung. Ansonsten ein Abkommen zur Massen-Aufnahme mit Erdogan schliessen: Gülle, Gülle!

Hier noch eine schnelle Lösung zur Gewissensberuhigung:

AVAAZ-Kampagne gegen Massentierhaltung zum Mitmachen

 

Lothar Koch, Biologe Rantum