Seehundsterben klingt ab

©_MStock_13_04_1345TÖNNING. In Schleswig-Holstein werden kaum noch tote Seehunde an die Nordseeküste gespült. In der vergangenen Woche wurden durchschnittlich sechs Tiere am Tag gefunden, fast alle waren bereits vor längerer Zeit gestorben. Die Grippewelle unter den Seehunden scheint damit weitgehend abgeklungen zu sein. Seit Anfang Oktober wurden 1578 totkranke oder tote Tiere gefunden, davon 1053 auf Sylt, Helgoland, Amrum und Föhr.

„In Nationalparken heißt es Natur Natur sein lassen. Wir gehen davon aus, dass auch die Grippe der Seehunde ein natürlicher Vorgang ist. Aber wir sind froh, dass vermutlich knapp 90 Prozent unserer Seehunde die Erkrankungswelle gut überstanden haben. Ihr Bestand ist durch das Grippevirus nicht gefährdet“, erklärt Nationalparkleiter Dr. Detlef Hansen. Er dankt den speziell ausgebildeten Seehundjägern, die ehrenamtlich arbeiten: „Sie erfüllen schwierige Aufgaben. Sie bergen die toten Tiere, und mitunter müssen sie totkranke von ihren Leiden erlösen.“

Der Einsatz der Seehundjäger ist weiterhin wichtig. In der nächsten Zeit wird die Zahl toter Seehunde vermutlich leicht erhöht sein, weil sie nach dem Ende der gegenwärtigen Ostwindlage wieder vermehrt an die Küste getrieben werden. Zudem sterben auch ohne akute Erkrankungswellen jährlich mehr als tausend Seehunde an unseren Küsten. Wir müssen die Regeln der Natur akzeptieren, zu dem auch das Sterben von Wildtieren gehört.

Der in der Stufe Grün laufende Aktionsplan zum Seehundsterben wird aufgehoben. Damit ist die Einlieferung von Robben in die Seehundstation Friedrichskoog und ihre Auswilderung wieder möglich.

Seehunde können ebenso wie andere Wildtiere regelmäßig verschiedene Erreger beherbergen, die auf Menschen und ihre Haustiere übertragbar sind. Spaziergänger sollten daher immer Abstand zu kranken und toten Seehunden oder anderen Wildtieren halten. Man soll die Tiere nicht berühren und Hunde angeleint fernhalten. So kann einer möglichen Übertragung von Krankheitserregern vorgebeugt werden.

Als Ursache der erhöhten Seehundsterblichkeit hatten Wissenschaftler der Tierärztlichen Hochschule Hannover den Influenzavirus H10N7 identifiziert. Er wurde bereits im Frühjahr für das schwedische Kattegat, im Herbst für das dänische Kattegat und vor wenigen Tagen für das niedersächsische Wattenmeer nachgewiesen. Im niedersächsischen und hamburgischen Wattenmeer wurden in den vergangenen Wochen rund 100 tote Seehunde gefunden. Im Sommer lebten etwa 39.000 Seehunde im dänisch-deutsch-niederländischen Wattenmeer, davon rund 13.000 Tiere im schleswig-holsteinischen Wattenmeer.

Hendrik Brunckhorst,  Medieninformation der Nationalparkverwaltung SH Wattenmeer

seehundstat

Der „andere Deich“ in Lister Schutzgebiet fertiggestellt

Der neue Mövenbergdeich in List

 

Rund 30 Jahre hat es gedauert, seit den ersten Forderungen der Lister bis zur Fertigstellung einer optimalen Ostsicherung der Gemeinde vor Sturmfluten. Gründe für den langen Weg bis zum neuen Mövenbergdeich gab es sicher viele: andere Landesprioritäten, Geld und Fördermittelmangel und vor allem schwierige Rahmenbedingungen seitens des Naturschutzes. Schliesslich musste der Deich in ein FFH Gebiet (Lister Koog) und an die Grenze zur Zone 1 des Nationalparkes SH-Wattenmeer gebaut werden (Königshafen).

Nach langen Planfeststellungsverfahren und teils wutentbrannten Diskussionen zwischen den Fronten ist nun die Kompromisslösung gestern offiziell von Alfred Mordhorst, dem Leiter des Landesamtes für Küstenschutz (LKN), abgenommen worden. Es handelt sich um einen ganz besonderen, 6, 5 m hohen und ca. 2,5 km langen Deich, der hinter dem Erlebniszentrum für Naturgewalten mit einer 350 m langen, künstlichen Düne beginnt. Um sensible Schutzgebiete, die Lister Nehrung und Uthörn, sowie den Lister Koog, möglichst wenig in Mitleidenschaft zu ziehen, wurde auf die Standartbauweise verzichtet. So fehlen hier der Deichverteidigungsweg (binnendeichs) und der Treibselabfuhrweg (aussendeichs). Damit der Deich aber dennoch motorisiert gewartet werden kann, ist die Deichkrone asphaltiert und damit befahrbar.

Die Deichböschungen wurden mit einem Mastix-Schotter- Deckwerk auf Heißbitumensand befestigt. Die offenporige Struktur dieses Materials erlaubt es, das die derzeit noch tiefschwarze Außenböschung mit der Zeit zusandet und sich selbst mit der heimischen Flora begrünt. Die Innenböschung wird unmittelbar nach Fertigstellung zusätzlich mit Boden abgedeckt und begrünt.

Die 8 m hohe Hochwasserdüne wurde mit Sand aus der Nordsee aufgespült. Wind und Wetter sollen im kommenden Winter der Düne einen natürlichen Ausdruck verleihen. Sie soll dann mit Strandhafer beflanzt werden.

Inwieweit die für Sylt so wichtigen Vogel-und Seehundrastplätze östlich des Deiches unter der Maßnahme leiden werden, kann wohl erst in einigen Jahren beurteilt werden. Hoffen wir, dass der Kompromiss auch zu Gunsten des Naturschutzes gelungen ist.

Skizze:LKN

Lothar Koch

Nationalparkverwaltung: Das Seehundsterben dauert an!

Seehund/Foto:M.Stock,LKN

 

TÖNNING. In Schleswig-Holstein werden nach wie vor tote und schwerstkranke Seehunde an die Nordseeküste gespült. Seit Anfang Oktober waren es insgesamt rund 1400 Tiere. Die Erkrankungswelle dauert an, scheint sich aber nicht zu verstärken. Auf Sylt, Helgoland, Amrum und Föhr haben die Seehundjäger 910 Tiere von den Stränden geborgen. Aus diesen Gebieten wurden die ersten Auffälligkeiten zu Beginn des Seehundsterbens gemeldet und seitdem täglich dokumentiert. Sie dienen als Referenzgebiete zur Abschätzung der weiteren Entwicklung des Seehundsterbens. In den übrigen  Bereichen der schleswig-holsteinischen Westküste wurden bisher 460 Seehunde gefunden.

Die Abbildung zeigt den zahlenmäßigen Verlauf des Seehundsterbens (tägliche Gesamtzahl toter Seehunde) in den vier Referenzgebieten (Quelle: LKN-SH). Sie kann ebenso wie das anliegende Foto des Seehundes (Quelle: Martin Stock/LKN-SH) in Zusammenhang mit der Berichterstattung hierzu verwendet werden.    Weitere Informationen zum aktuellen Seehundsterben sind auf der Website der Nationalparkverwaltung zu finden: www.nationalpark-wattenmeer.de/sh

Als Ursache der erhöhten Seehundsterblichkeit hatten Wissenschaftler des Institutes für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover den Influenzavirus H10N7 identifiziert. Nach Angaben dänischer und schwedischer Wissenschaftler wurde der Influenzavirus bereits im Frühjahr vor der schwedischen Küste nachgewiesen. Auf welchem Weg und mit welchen Überträgern der Erreger ins Wattenmeer gelangte, ist noch unklar.

Seehundjäger, Behörden und Wissenschaftler arbeiten nach einem von der Nationalparkverwaltung in Tönning entwickelten Aktionsplan mit dem Ampelsystem „Grün – Gelb – Rot“. Unverändert steht hier das Signal auf Grün, erläutert der Leiter der Nationalparkverwaltung Dr. Detlef Hansen am Donnerstag. „Das heißt, dass alles mit der üblichen Logistik zu bewältigen ist. Die Hauptarbeit leisten dabei die speziell ausgebildeten, ehrenamtlich tätigen Seehundjäger.“

Der Bestand der Seehunde in 2014 ist nach Erkenntnissen der Seehundexpertengruppe des Internationalen Wattenmeersekretariats in Wilhelmshaven gegenüber dem Vorjahr stabil geblieben. Sie geben  39.100 Tiere für das  dänisch-deutsch-niederländischen Wattenmeer und 13.000 Tiere für das schleswig-holsteinische Wattenmeer an. Die Zählungen werden alljährlich im August durchgeführt. Das in Schleswig-Holstein seit Anfang Oktober beobachtete Seehundsterben ist darum nicht in die Auswertung eingeflossen. Die Seehundexperten gehen davon aus, dass die Erkrankung für den Bestand des Seehunds im Wattenmeer keine Gefahr darstellt.

Seehunde können ebenso wie andere Wildtiere regelmäßig verschiedene Erreger beherbergen, die auch auf den Menschen übertragbar sind. Spaziergänger sollten daher immer Abstand zu kranken und toten Seehunden oder anderen Wildtieren halten. Man soll die Tiere nicht berühren und Hunde angeleint fernhalten. So kann einer möglichen Übertragung von Krankheitserregern vorgebeugt werden.

Pressemitteilung der Nationalparkverwaltung Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer (Foto und Graphik: LKN)

 

Anmerkung der Redaktion: Inzwischen ist das Seehundsterben auch im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer angekommen.

RSH-Beitrag zum „Rätsel der Sandbank“

Gestern sendete Radio Schleswig Holstein einen Beitrag zum aktuellen Seehundsterben. Hendrik Brunckhorst vom Landesamt für Küstenschutz und Nationalpark (LKN) berichtet den aktuellen Stand der Dinge (Teil 1) und Lothar Koch äussert sich zum „Rätsel der Sandbank“ (Teil 2).

Teil 1:

 

Teil 2:

Der Tod kommt aus dem Kattegat-Rückblick zu vergangenen Seehundsterben

Bei der Suche nach Antworten auf die Frage, weshalb die Seuchenzüge unter Seehunden der Wattenmeernationalparke fast immer bei der kleinen Insel Anholt in der Ostsee begannen, ist eine wissenschaftliche Publikation* aus dem Jahre 2006 hilfreich (s.u.).

Möwen picken Kadaver auf. Tragen sie die Viren dann weiter? Können Mensch und Hund bei Spaziergängen an solchen Kadavern anstecken?

In einer gemeinschaftlichen Veröffentlichung blicken Wissenschaftler aus Schweden, Dänemark,Niederlande, England, Schottland und Deutschland auf die beiden wichtigsten Hundestaupe (PDV)-Seuchen der Jahre 1988 und 2002 zurück.
1988 starben insgesamt mindestens 23 000 und in 2002 über 30 000 Seehunde in Nord -und Ostsee.
In beiden Fällen wurden erste tote Seehunde bei der Robbenkolonie auf der Kattegat-Insel Anholt (Ostsee) gemeldet. (Ein weiterer, kleineres Seehundsterben mit 285 Totfunden geschah 2007 und ging ebenfalls auf Anholt los). Die Forscher entdeckten jedoch, dass die Ausbreitung der Seuche nicht nur kontinuierlich entlang der Küste weiterging, sondern sprunghaft plötzlich tote Tiere in weit entfernten  irischen (1988) und niederländischen (2002) Gewässern gesichtet wurden. Da Seehunde seitens der Robbenforscher als relativ standorttreu eingeschätzt werden, vermuten die Wissenschaftler, dass andere Arten als „Vektoren“ dienten , die gegenüber dem Virus selbst relativ unempfindlich sind und rasch größere Strecken überwinden können.
Dem gesuchten „Steckbrief“ entsprechen am ehesten die den Seehunden (Phoca vitulina) verwandten Kegelrobben (Halichoerus grypus).
Sie liegen öfter vereinzelt zwischen den Seehundkolonien auf Anholt, sind aber auch an allen anderen Küsten, wo das Seehundsterben auftrat präsent, gelten als schnelle Langstreckenschwimmer und sind selbst kaum vom Virus tödlich betroffen gewesen.
Normalerweise bilden Kegelrobben grosse Kolonien abseits von Seehunden, zum Beispiel an der britischen Ostküste. Kommen sie jedoch in nur geringen Zahlen vor, wie bei Anholt, Amrum, Helgoland, Juist und Texel, mischen sie sich auch zwischen die Seehunde auf die Liegebänke.
Im Winter 1987/88 kam es wegen der Überfischung von Lodden (Fischart) in der arktischen Barents See, zu einer Massenwanderung von Sattelrobben aus jenen Gewässern hinunter in die südliche Nordsee. Auch Sattelrobben sind PDV-Träger und könnten den Virus an Kegelrobben, die dann als Vektoren dienten, weitergegeben haben. Allerdings gab es 2002 keine vermehrt auftretenden Sattelrobben in der Nordsee, es ist aber nicht auszuschliessen, dass sich einzelne arktische Robben dennoch hier herumtrieben.
Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Virus 1988 auf eine sehr unfitte Population stiess, die schwer von Industrieschadstoffen belastet war. Nach dem über 60% des Bestandes in kürzester Zeit gestorben war, erholte sich der Wattenmeerbestand in einer erstaunlich schnellen Zeit. Dies führen die Wissenschaftler darauf zurück, dass mit der Seuche alle unfitten Tiere starben und die besser konstituierten Individuen übrig blieben. So konnten bei Totfunden aus dem Seuchenjahr 2002 nur noch wesentlich geringere Belastungen des Speckmantels mit PCBs und DDE (schwer abbaubaren, organischen Kohlenwasserstoffen) nachgewiesen werden (50-65% weniger). Die Seuche in 2002 konnte demzufolge nicht mit diesen Schadstoffen erklärt werden, jedoch werden neuere Schadstoffgruppen (Flammschutzmittel) als immunsystemschädigend diskutiert, für die es bis 2006 keine guten Vergleichszahlen gab. Die Theorie, dass Schadstoffe Hintergrund für den umfassenden Viren-, Parasiten- und Bakterienbefall der autopsierten Kadaver sind, ist also nicht vom Tisch.
Bei der aktuellen Epidemie handelt es sich ja bekanntlich nicht um die Hundestaupe, sondern um einen Vogelgrippevirus (H10N7). Ob der tatsächlich die Haupt-Todesursache ist, ist aber dennoch für Experten nicht eindeutig geklärt. Jedenfalls kommen also auch Vögel als Vektoren in Frage. Bei einem Fall von Influenza bei Seehunden (ca, 400 tote Tiere) an der Küste Neuenglands (1980) stellten die Virologen fest, dass gesunde Seehunde, die im Laborversuch mit dem Virus beimpft wurden, nur leichte Symptome im Atemtrakt zeigten, während die Wildtiere an dem Virus verendeten. Sie schlossen daraus, dass die Umweltbedingungen, in denen die Tiere leben, einen großen Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben.

Der Influenza Virus H10N7 wurde bereits im Juli 2014 bei Seehunden auf Anholt identifiziert. Da muss die Frage erlaubt sein, wieso es dennoch trotz der multilateralen Zusammenarbeit nicht früher Alarmmeldungen und Überlegungen zum Schutz der Seehundspopulationen in Richtung Wattenmeerstaaten gegeben hat, wo  Totfunde erst Anfang Oktober auftauchten.

Weshalb nun immer die kleine Insel Anholt als Startpunkt für die Seuche herhalten muss und nicht Amrum, Sylt, Juist, Helgoland oder Texel, ist weiterhin unklar. Möglicherweise liegt es einfach an der geographischen Position der Insel mitten im Kattegat, die vielleicht erste Anlaufstation für an der norwegischen Küste nach Süden wandernde Robben ist, möglicherweise spielen aber auch Umwelt-Faktoren eine Rolle, die erst auffallen, wenn das gesamte Einzugsgebiet Anholts in einem interdisziplinären Ökosystem-Forschungsprojekt mal genauer unter die Lupe genommen würde. Das wäre eine lohnende Aufgabe zum Schutz von Mensch und Robbe, für die Universitäten und dem Steuerzahler sicher einige Euros, Pfund und Kronen wert. Der politische Wille ein solches Projekt zu finanzieren, scheint bislang jedoch nicht stark genug zu sein.

Lothar Koch
www.natuerlichsylt.net

Zitiert wurde u.a. aus:
*A review of the 1988 and 2002 phocine distemper virus epidemics in European harbour seals, Tero Härkönen,Rune Dietz, Peter Reijnders, Jonas Teilmann, Karin Harding, Ailsa Hall, Sophie Brasseur, Ursula Siebert, Simon J. Goodman, Paul D. Jepson, Thomas Dau Rasmussen, Paul Thompson. 2006