„Ich mache keinen Krummen Dinger“

von der BürgerIni Merret reicht´s – aus Liebe zu Sylt

Die Hecken abgeholzt, die Kinderspielwiese umgegraben, die Fenster vernagelt, die Wohnhäuser mit Bauzäunen umschlossen, die Mieter mit falschen und viel zu hohen Nebenkostenabrechnungen schikaniert und mit ständigen Besuchen zum Auszug gedrängt. Es gab keine Reinigung mehr, der Strom fiel aus. Vor fünfzehn Jahren vertrieb die SL Immobilien GmbH aus Bremen 22 Sylter Familien erfolgreich aus ihren Mietwohnungen in den gelben Mehrfamilienhäusern am unteren Ende der Bomhoffstraße in Westerland. 

Unmenschlicher Umgang“ mit Sylter Familien

„Das war der härteste Umgang, den ich je mit Mietern in ganz Schleswig-Holstein erlebt habe“, erklärte Stephan Sombrutzki vom Kieler Mieterverein, an den sich die Familien schutzsuchend gewandt hatten. Als „unmenschlich“ brandmarkte der damalige Vorsitzende des Bauausschusses Holger Flessau (CDU) das Vorgehen des Bremer Investors, der dort eine neue Wohnanlage errichten wollte. „Das ist einfach unmöglich“, beklagte Bürgermeisterin Petra Reiber und wollte die Häuser sogar beschlagnahmen lassen. 

In den Gemeinderatssitzungen ging es über Monate hoch her. Der Berg kreißte – gebar aber am Ende nur eine Maus. Man einigte sich auf ein paar Zeilen Resolution: „Wir solidarisieren uns mit den Betroffenen und verurteilen den Menschen verachtenden Umgang der Bremer SL Immobilien GmbH.“ Mehr war offenbar nicht drin. 22 Sylter Familien verloren ihr Zuhause. Angeblich machtlos die Politik. „Baurechtlich war das nicht zu verhindern“, ließ sich Holger Flessau zitieren. Rein rechtlich sahen sich die Gemeindevertreter außerstande, die Mieter zu schützen. 

Dauerwohnungen gingen in die Ferienvermietung

In der entscheidenden Sitzung waren sie alle anwesend, die heute immer noch die Geschicke der Gemeinde lenken: Günther Frank, Kay Abeling, Eberhard Eberle, Gerd Nielsen, Carsten Kerkamm und auch Manfred Uekermann, mittlerweile Landtagsabgeordneter. Anfang 2010 waren die Wohnungen dann schließlich erfolgreich entmietet. Die zwischen den Häusern gelegene Grünfläche, wo bisher Kinder spielten, wurde einer „sinnvollen“ Nutzung zugeführt. Hier entstanden Parkplätze für Feriengäste.

Nach der Fertigstellung gingen nahezu alle 22 Einheiten in die Ferienvermietung. Von Anfang an ein unsauberer Deal. Denn die gesamte Anlage durfte laut Baugenehmigung ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt werden. Der Bebauungsplan ließ daran überhaupt keinen Zweifel. Doch niemand rührte eine Hand, niemand kontrollierte, niemand griff ins Getriebe, und so geriet diese unschöne Episode insularer Wohnraumvernichtung wie so viele andere in Vergessenheit. 

Käuferin zahlte 1 Mio für eine illegale Fewo

Auch Frau Brinkmann (Name geändert) wusste davon nichts, als ihr im Spätsommer 2022 eine Zeitungsannonce der Sylter Firma RT Immobilien auffiel, in der eine Zwei-Zimmer-Erdgeschosswohnung in der Bomhoffstraße 17 für 950.000 Euro mit „eingeführter Ferienvermietung“ angeboten wurde. Die Geschäftsfrau aus Niedersachsen war auf der Suche nach einer Kapitalanlage mit guter Rendite. Sie zögerte. Denn für eine 65m²-Wohnung mit allen Nebenkosten rund 1,1 Millionen Euro zu bezahlen, erschien ihr selbst für Sylter Verhältnisse überteuert, immerhin sollte der Quadratmeter umgerechnet 17.000 Euro kosten. Der Verkäufer, ein Sylter Unternehmer, der im Immobiliengeschäft einen guten Ruf genießt, zeigte sich gesprächsbereit und ließ sich auf Verhandlungen ein. Frau Brinkmann unterschrieb schließlich den Kaufvertrag und zahlte knapp eine Million für zwei Zimmer und eine kleine Terrasse. Darin enthalten war auch ein saftiges Honorar für den testierenden Notar. Auch kein Unbekannter, ganz im Gegenteil. Dieser Sylter Notar setzte seine Unterschrift unter einen Kaufvertrag, in dem sich Frau Brinkmann ausdrücklich zusichern ließ, dass es sich bei der Eigentumswohnung um eine „Ferienwohnung“ mit entsprechender Genehmigung handelte (Merret liegt der Kaufvertrag mit allen Unterschriften vor). Denn auch Frau Brinkmann hatte mittlerweile registriert, dass man sich bei diesem heiklen Thema besser absicherte. Notar, Verkäufer und Makler gaben Brief und Siegel. 

Notar, Verkäufer und Makler gaben Brief und Siegel

Dann das böse Erwachen, als Frau Brinkmann anschließend die Baugenehmigung einsah: Dauerwohnung! Und der Schock wurde noch größer, als ihr klar wurde, dass sie sich im Kaufvertrag sogar verpflichtet hatte, die Vermietagentur weiterzubeschäftigen. Das gab ihr den Rest. „Ich war vertraglich gezwungen, illegal an Feriengäste zu vermieten. Aber ich mache keine krummen Dinger. Das habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gemacht.“ Sofort fordert sie vom Verkäufer die Rückabwicklung des Kaufvertrags ein. Sie fühlt sich betrogen und getäuscht „von diesen angeblich so renommierten Insulanern, die hier alles miteinander verquicken“, Ämter, Posten, Finanzierungen, Vermittlungen und Testate. „Sie haben mich alle zusammen aufs Kreuz gelegt.“ Doch von einer Rückabwicklung will bis heute niemand etwas wissen. Frau Brinkmann hat Fristen gesetzt. Die sind längst verstrichen, Monate sind vergangen, Frau Brinkmann verlor irgendwann die Geduld. Im Juli dieses Jahres (2024) reichte sie über eine Westerländer Kanzlei Klage ein. „Das könnte mich jetzt nochmal richtig Geld kosten, aber das ist es mir wert. Und mir ist klar, ich nehme es hier mit den Spitzen der Sylter Gesellschaft auf.“ 

Geld zurück? Die Gerichte müssen entscheiden

Zufall oder nicht, auf einmal gibt es für die Bomhoffstraße und das Gebiet drumherum einen neuen Bebauungsplan. Plötzlich ist Ferienwohnen dort erlaubt. Und wie Frau Brinkmann feststellen durfte, hat jemand für ihre neue Eigentumswohnung einen Umnutzungsantrag gestellt. Das war nicht sie selbst. Sie wusste gar nichts davon. Sie wusste auch nicht, dass das überhaupt möglich ist, dass Nicht-Eigentümer für eine Wohnung, die ihnen nicht gehört, eine Nutzungsänderung beantragen können. Und sie hat es auch gar nicht gewollt. 

Nun verlangt sie erst recht ihr Geld zurück. „Das geht doch hier nicht mit rechten Dingen zu.“ 

Ausgang offen. Das Verfahren läuft. Verstrickt sind in diesen Fall die ganz Großen dieser Insel. Keine Auswärtigen. Diese wohlbekannten Leute haben sich gleich mehrfach persönlich bereichert und davon profitiert, dass vor fünfzehn Jahren 22 Sylter Familien in der Bomhoffstraße ihr (bezahlbares) Zuhause verloren. Durch ungerechtfertigte Mieteinnahmen, überteuerte Preise und Provisionen, die sich auf falsche Fakten stützten. Kein Einzelfall. Auf Merret-Nachfrage bestätigen Sylter Anwälte, dass immer mehr Schadenersatzforderungen eingehen, weil Immobilien überall auf der Insel mit solchen „Mängeln behaftet“ und deshalb zu teuer verkauft worden seien. 

Merret fordert sauberen Umgang mit den Fakten

Aus Merrets Sicht ist es höchste Zeit, endlich aufzuräumen. Es ist Zeit, sich ehrlich zu machen. Politiker dürfen nicht gleichzeitig die Rahmensetzung der Sylter Baupolitik bestimmen und sich anschließend über geltendes Recht hinwegsetzen, um auch noch persönlich wirtschaftlich davon zu profitieren. Schwer erträglich wird es dann, wenn dieselben Politiker auch noch öffentlich fordern, die Behörden mögen über diese Rechtsverstöße hinwegsehen, weil sonst die Sylter Wirtschaft zusammenbrechen würde. 

Diese Praktiken beschädigen das Image der Insel viel nachhaltiger als eine Horde Punks auf einer Festwiese. Es ist allerhöchste Zeit, dass Sylt endlich supergute Bebauungspläne bekommt, die die Bevölkerung schützen und den Zuzug von Familien und Normalverdienern ermöglichen, weil sie genügend Dauerwohnungen vorschreiben. Hoffentlich erfüllt der „B-Plan 28“, der als Blaupause für den künftigen Umgang mit Immobiliennutzung dienen soll, diese hohen Erwartungen. 

Dies ist Artikel der Bürgerinitiative „Merret reicht´s- aus Liebe zu Sylt (nicht von Lothar Koch).
Alle Namen der beteiligten Personen sind Merret bekannt. 

( https://merret-sylt.de, Fotos: Moritz Unruh und Merret reicht’s)

Fischerei hat die stärkere Lobby

Joshua Hirschfeld von der Sylter Rundschau im Gespräch mit Lothar Koch
zum 25. jährigen Bestehen des Walschutzgebietes vor Sylt


Herr Koch, die Zahl der Schweinswale vor Sylt geht zurück. Jährlich um 3,8 Prozent, glaubt man der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Hand aufs Herz: Das Walschutzgebiet hat‘s nicht gebracht, oder?

Lothar Koch/ Foto: J.Hirschfeld/SR

Man muss das grössere Bild sehen, also das Schutzgebiet nordseeweit einordnen.  Das sylter Walschutzgebiet ist nur ein kleiner Mosaikstein von vielen notwendigen Meeresschutzmassnahmen. Sylt ist nach wie vor ein wichtiges Kalbungs- und Aufzuchtgebiet für Schweinswale. Deswegen bleibt das Schutzgebiet unverzichtbar.

Dennoch: Die Zahl der Schweinswale vor Sylt geht zurück. Gleichzeitig ist der Bestand in der gesamten Nordsee relativ stabil. Wie kann das sein, wenn es doch hier extra ein Walschutzgebiet gibt?

Es gibt sicher viele Faktoren, die da reinspielen. Faktor Nummer eins wird das Nahrungsangebot sein. Aber auch Störungen durch Windparks und Schiffe können eine Rolle spielen. Der Schweinswalbestand verlagert sich von hier offenbar südwestwärts Richtung Holland. Das verwundert, denn besonders im Walschutzgebiet  ist es deutlich ruhiger als dort. Vor den ostfriesischen Inseln zum Beispiel haben wir eine der meistbefahrenen Schifffahrtslinien Europas. Aber: Schweinswale müssen permanent fressen, um zu überleben. Alles andere ist da nachgeordnet. Der Schweinswal entscheidet sich dann das Risiko einzugehen, in einen gestörten Bereich zu wandern, wenn nicht genug Nahrung verfügbar ist. 

Das bedeutet, dass eines der Ziele des Walschutzgebiets, das Nahrungsangebot für die Schweinswale vor Sylt stabil zu halten, verfehlt wurde.

Man kann das Thema Nahrung nicht auf die relativ kleine Fläche des Walschutzgebietes beziehen. Hier geht es eher um grössere Küstenwanderungen geeigneter Nahrungsfische, denen die Schweinswale hinterher ziehen. Dennoch,  Die Fischerei unterliegt in den Meeresschutzgebieten  kaum Einschränkungen. Besonders die Stellnetz- Fischerei ist der Faktor, der Schweinswale am meisten durch unbeabsichtigten Beifang gefährdet.. Und es gelang bisher nicht, diese aus den Schutzgebieten zu verbannen. Die internationale Fischerei hat eine stärkere Lobby als der Meeresschutz.

Es gab also von Anfang an Lücken im Konstrukt Walschutzgebiet?

Ja. Aber in den Neunzigern waren wir Naturschützer erstmal froh, dass wir das Schutzgebiet als solches überhaupt durchbekamen. Nach dem Motto: Wenn wir erstmal einen Rahmen haben, kann man in langsam reinarbeiten und die Schutzgebietsmaßnahmen verbessern. Das ist jetzt 25 Jahre her. Und man muss sagen, da ist seitens des Gesetzgebers leider relativ wenig passiert. Das Land Schleswig-Holstein hat das Walschutzgebiet damals dankenswerter Weise ausgewiesen und so auch später das Prädikat Weltnaturerbe Wattenmeer möglich gemacht. Inhaltliche Qualitätsverbesserungen im Sinne des Naturschutzes bleiben bis auf ein wenig Bildungsarbeit mit dem Sylter Walpfad jedoch aus.

Trotzdem halten Sie das Walschutzgebiet für einen Erfolg?

Ja. Laut Unesco darf sich der Zustand des Gebietes nicht verschlechtern. Wir haben diesen Mindestschutz, und der kann verbessert werden. Der Druck, das auch tatsächlich zu tun, nimmt zu: Denn die Schweinswale der zentralen Nordsee wandern offenbar mehr Richtung südliche Nordsee. Der Windkraft-Ausbau wird offshore gerade massiv angekurbelt. Ich rechne in den nächsten Jahren mit 14.000 neuen Windmühlen in deutschen Gewässern. Das wird massive Auswirkungen auf die Nordseeökologie, von  Hochseevögeln, Robben und Schweinswalen haben.

Und dieser Ausbau ist im Walschutzgebiet verboten…

Das ist für uns Insulaner und den Tourismus sicher der wichtigste Effekt des Walschutzgebietes. Wir können dankbar sein, dass das in den Neunzigern so geklappt hat. Sonst hätten wir die Industrieanlagen sicher bald nahe der der Drei-Seemeilengrenze vor dem Strand stehen. 

Und noch etwas: Die Meeresschutzgebiete dienen nicht nur den Schweinswalen sondern letztendlich dem gesamten marinen Nahrungsnetz. Trauerenten zum Beispiel. Von denen gibt es weltweit ungefähr eine halbe Million – bis zu 350000 wurden zeitweise auf dem  Meer westlich von Sylt und Amrum geschätzt. Diese Fakten werden zu wenig in der Öffentlichkeit wahrgenommen.

Sie sagen, die Regeln für das Schutzgebiet müssten nachgeschärft werden. Was konkret müsste denn aus Ihrer Sicht passieren? Sie sprachen schon die Fischerei an.

Für die Fischerei fordere ich konkret, dass die Stellnetzfischerei im Walschutzgebiet vollständig verboten wird. Schnellbootkorridore für Windparks durch das Schutzgebiet sind ein „No-Go“. Die müssten verlegt oder auf 12 Knoten gebremst werden. Ein weiteres Manko ist der ungeschützte 150-Meter-Streifen“ vor dem Strand. Sie können da im Moment, wenn sie wollen, mit einem Schnellboot den Streifen entlang brettern, solange sie  nicht ins Badegebiet kommen. Ausserdem nehmen hier Elektro-Wassersportgeräte zu. Und das ist gerade der Bereich, wo die Wale mit ihren Kälbern im Sommer gern kleine Sandale jagen und und die Herzen der Strandspaziergänger erfreuen.  

Ist die Umsetzung solcher Schritte in den nächsten Jahren denn realistisch?

Da kann ich keine Prognose abgeben.

Wäre es aus Ihrer Sicht denn heutzutage schwerer oder einfacher, das Walschutzgebiet durchzusetzen?

Es wäre heute schwieriger, glaube ich. In den Achtzigern, Neunzigern stand Nordseeschutz ganz oben auf der Agenda. Motivationen waren das Seehundsterben, Ölverschmutzungen an den Stränden und vieles andere mehr. Nordseeschutz war damals Topthema. Heute ist das anders. Heute geht‘s mehr um Klimaschutz. Und der Naturschutz steht hintenan. Dabei ist die Biodiversitätskrise ein genauso großes Problem wie die Klimakrise. Aber heute wird von der Politik vorrangig nach Flächen für Offshore-Windkraftanlagen gesucht, statt Nullnutzungszonen auf dem Meer auszuweisen. Da hätten wir ganz schlechte Karten. Deshalb bin ich froh, dass wir Europas erstes Walschutzgebiet damals vor Sylt durchsetzten konnten.

Der Sylter Biologe Lothar Koch war zwischen 1988 und 2003 Sprecher der Naturschutzgesellschaft Schutzstation Wattenmeer e.V. und engagierte sich in dieser Funktion federführend für die Einrichtung des im Jahre 1999 ausgewiesenen Walschutzgebietes vor Sylt.

Koch ist Autor des Naturerlebnisführers „Natürlich Sylt“ und des Romans „Syltopia“.

Zum SR-Interview mit Lothar Koch vom23.8.2024

Brandheisses Thema auf Sylt: Kreis droht mit Stilllegung von Ferienvermietungen


Der Bürgermeister der Gemeinde Sylt (z.Zt. interimsmässig Rechtsanwalt Carsten Kerkamm) und der Amtsvorsteher des Amtes Landschaft Sylt (Ronald Benck), beide CDU, intervenierten dieser Tage gegen das Kontrollvorhaben des Kreisbauamtes zu illegaler Ferien-Vermietung auf der Insel. Der Kreis droht mit Stilllegung von Vermietbetrieben im zweistelligen Prozentbereich, weil diese seit Jahren gegen das Gesetzt verstossen. 

Bereits am 21. März 2024 erschien als Reaktion auf Spiegel-Artikel zu diesem Thema in der Sylter Rundschau  ein gekürztes Interview mit Birte Wieda.
Hier  das komplette Interview, das Barbara Glosemeyer mit Birte Wieda geführt hat:

𝗟𝗮𝘂𝘁 𝗦𝗣𝗜𝗘𝗚𝗘𝗟 𝗵𝗮𝗯𝗲𝗻 𝗦𝗶𝗲 𝗴𝗲𝘀𝗮𝗴𝘁, 𝗱𝗮𝘀𝘀 𝗦𝗶𝗲 𝗵𝗮𝗱𝗲𝗿𝗻, 𝘄𝗲𝗶𝗹 𝗦𝗶𝗲 𝘃𝗶𝗲𝗹𝗲 𝗕𝗲𝘁𝗿𝗼𝗳𝗳𝗲𝗻𝗲 𝗮𝘂𝗰𝗵 𝗽𝗲𝗿𝘀ö𝗻𝗹𝗶𝗰𝗵 𝗸𝗲𝗻𝗻𝗲𝗻. 𝗜𝘀𝘁 𝗱𝗮𝘀 𝘀𝗼?

Ja. Und die Auswirkungen sind zum Teil sehr bitter. Aber viele haben durh die absurde Immobilienpreisentwicklung eben auch schon die Insel verlassen. Wir wussten alle, das das mal ein Ende haben muss. Die jetzige Problemlage ist ja nicht neu. Sie ist dadurch zugespitzt, dass nötige Planungsanpassungen in der lokalen Politik nie die nötige Mehrheit gefunden haben. Das hat alles immer komplizierter und nachteiliger für alle jetzt Betroffenen gemacht.

Die Bau- und Städteplanung wurde in der Politik nie mit dem ausreichenden Ernst behandelt und damit auch nicht in die Bevölkerung kommuniziert, das habe ich in meiner Legislaturperioden Bauausschuss Sylt Ost schon Ende der 90 er Jahre merken müssen. Ort- und Kreisverwaltung haben immer wieder informiert und gemahnt. Anders ist das jetzt für jeden sichtbare Ausmaß auch nicht zu erklären!

𝗦𝗲𝗵𝗲𝗻 𝗦𝗶𝗲 𝗶𝗻 𝗱𝗲𝗿 𝗙𝗼𝗿𝗱𝗲𝗿𝘂𝗻𝗴 𝗱𝗲s Verein Sylter Unternehmer 𝗻𝗮𝗰𝗵 𝗺𝗲𝗵𝗿 𝗭𝗲𝗶𝘁 𝘂𝗻𝗱 𝗔𝘂𝗴𝗲𝗻𝗺𝗮ß 𝘂𝗻𝗱 𝗱𝗲𝗺 𝗘𝗶𝗻𝗹𝗲𝗻𝗸𝗲𝗻 𝗱𝗲𝘀 𝗞𝗿𝗲𝗶𝘀𝗲𝘀 𝗲𝗶𝗻𝗲𝗻 𝗿𝗶𝗰𝗵𝘁𝗶𝗴𝗲𝗻 𝗦𝗰𝗵𝗿𝗶𝘁𝘁, 𝗱𝗲𝗻 𝗦𝗶𝗲 𝘂𝗻𝘁𝗲𝗿𝘀𝘁ü𝘁𝘇𝗲𝗻 𝗸ö𝗻𝗻𝗲𝗻?

Zeit für was? Es sind Aufgaben aus 20-40 Jahre versäumter Planungsarbeit nachzuholen! Da ist kein einziger Tag Zeit zu verlieren. Wir müssen jetzt aber als Mannschaft den Kurs des Schiffes neu bestimmen, weil den Kapitänen, die es in den Sturm gefahren haben, gerade nicht mehr viel zuzutrauen ist.

Das Augenmaß ist auf Sylt verloren gegangen. Der Kreis hat immer wieder Entgegenkommen signalisiert und abgewartet.

Wenn das jetzige Chaos nicht auch durch die Geduld der Behörde so groß geworden wäre, könnte man einfach „Danke“ sagen, denn es wurde in der Zeit sehr viel Geld verdient.

Für das bisherige Nichthandeln, ist auf jeden Fall keine Zeit mehr!

𝗗𝗶𝗲 𝗦𝘆𝗹𝘁𝗲𝗿 𝗨𝗻𝘁𝗲𝗿𝗻𝗲𝗵𝗺𝗲𝗿 𝘀𝗮𝗴𝗲𝗻, 𝗱𝗮𝘀𝘀 𝗲𝘀 𝗻𝗶𝗰𝗵𝘁 𝗳𝘂𝗻𝗸𝘁𝗶𝗼𝗻𝗶𝗲𝗿𝗲𝗻 𝘄𝗶𝗿𝗱, 𝗱𝗮𝘀𝘀 𝗮𝘂𝘀 𝘀𝘁𝗶𝗹𝗹𝗴𝗲𝗹𝗲𝗴𝘁𝗲𝗻 𝗙𝗲𝗿𝗶𝗲𝗻𝘄𝗼𝗵𝗻𝘂𝗻𝗴𝗲𝗻 𝗗𝗮𝘂𝗲𝗿𝘄𝗼𝗵𝗻𝘂𝗻𝗴𝗲𝗻 𝗳ü𝗿 𝗦𝘆𝗹𝘁𝗲𝗿 𝘄𝗲𝗿𝗱𝗲𝗻. 𝗪𝗶𝗲 𝘀𝗲𝗵𝗲𝗻 𝗦𝗶𝗲 𝗱𝗮𝘀?

Wir verstehen im Bürgernetzwerk den Pessimismus nicht und finde ihn der Situation auch nicht zuträglich. Erstens kann die Kommunalpolitik planungsrechtlich mit Satzungen in Bebauungsplänen gegensteuern, damit die Wohnungen nicht im Zweitwohnungmarkt verloren gehen….. aber bitte schnell.

Zweitens sollte die Landesregierung die Insel unterstützen, indem das in Schleswig-Holstein fehlende Zweckentfremdungsgesetz/Wohnraumschutzgesetz schleunigst auf den Weg gebracht wird. Das würde ebenfalls den befürchteten Verlust in den Zweitwohnungsmarkt verhindern.

Auch da sollte man keine Zeit verlieren und im Schulterschluss nach Kiel gehen und es gemeinsam mit Nachdruck fordern. Schließlich steht es für 2024 sogar im Koalitionsvertrag.

Mehr Wohnraum, bezahlbarer Wohnraum, attraktiver Wohnraum werden die Chance der Sylter Wirtschaft beim Werben um Arbeitskräfte auf einem ohnehin umkämpften Markt erhöhen.

Das muss doch jedem einleuchten…. Wer wohnt und arbeitet nicht gern auf einer so schönen Insel?

Sylt 𝗵𝗮𝘁 𝗶𝗺 𝗷ü𝗻𝗴𝘀𝘁𝗲𝗻 𝗣𝗼𝘀𝘁 𝗮𝘂𝗳 𝗙𝗮𝗰𝗲𝗯𝗼𝗼𝗸 𝗱𝗶𝗲 𝗣𝗼𝗹𝗶𝘁𝗶𝗸 𝘃𝗲𝗿𝗮𝗻𝘁𝘄𝗼𝗿𝘁𝗹𝗶𝗰𝗵 𝗴𝗲𝗺𝗮𝗰𝗵𝘁 𝗳ü𝗿 𝗱𝗲𝗻 𝗪𝗶𝗹𝗱𝘄𝘂𝗰𝗵𝘀 𝗺𝗶𝘁 𝗙𝗲𝗿𝗶𝗲𝗻𝘄𝗼𝗵𝗻𝘂𝗻𝗴𝗲𝗻.

Die Bauministerin des Landes, Dr. Sabine Sütterlin-Waack, hat es ganz deutlich gesagt: Das Recht der Planungshoheit liegt ausschließlich bei der Kommune, diese wird vertreten durch das legitimierte Gemeindeparlament, die Politiker vor Ort. Dort werden die Regeln abgewogen und festgelegt oder eben auch nicht.

Nach diesen Regeln genehmigt dann die Behörde des Kreises.

Eine Behörde kann demnach nur so gut und richtig genehmigen, wie die Regeln deutlich und klar sind. Da hat es in der Vergangenheit aus oben genannten Versäumnissen viel Durcheinander gegeben. Der Kreis und auch die Verwaltung vor Ort haben das immer wieder angemerkt und angemahnt.

𝗚𝗲𝗻𝗲𝗵𝗺𝗶𝗴𝘂𝗻𝗴𝘀𝗯𝗲𝗵ö𝗿𝗱𝗲 𝗶𝘀𝘁 𝗮𝗯𝗲𝗿 𝗱𝗶𝗲 𝗕𝗮𝘂𝗮𝘂𝗳𝘀𝗶𝗰𝗵𝘁 𝗱𝗲𝘀 𝗞𝗿𝗲𝗶𝘀𝗲𝘀, 𝗱𝗶𝗲 𝗝𝗮𝗵𝗿𝘇𝗲𝗵𝗻𝘁𝗲 𝗻𝗶𝗰𝗵𝘁𝘀 𝗴𝗲𝘁𝗮𝗻 𝗵𝗮𝘁, 𝘄𝗶𝗲 𝗕𝘂𝗿𝗸𝗵𝗮𝗿𝗱 𝗝𝗮𝗻𝘀𝗲𝗻 𝗶𝗺 𝗜𝗻𝘁𝗲𝗿𝘃𝗶𝗲𝘄 𝗺𝗶𝘁 𝗺𝗶𝗿 𝗲𝗶𝗻𝗴𝗲𝗿ä𝘂𝗺𝘁 𝗵𝗮𝘁.

Eine Genehmigungsbehörde kann nur genehmigen und kontrollieren, was hieb- und stichfest geregelt ist. Sonst folgen Gerichtsverfahren. Ferienwohnraum und Dauerwohnraum ist auf Sylt schlechter geregelt als jeder von uns es sich bisher vorstellen konnte. Das war der Politik schon lange bekannt, spätestens durch ein Wohnraumentwicklungskonzept und andere Gutachten.

Wer in der Kommune die Zukunft gestalten will, der erkennt das „Planungsrecht“ als eine „Planungspflicht“ an, um die man sich intensiv und immer wieder kümmern muss. Gerade und besonders, wenn der Druck auf die Gemeinde tourismuswirtschaftlich so groß ist wie auf Sylt. Das Beherbergungskonzept sagt deutlich, dass dies auf Sylt in der Vergangenheit nicht geschehen ist. Und rät zum sofortigen und systematischen Einsatz aller nur möglichen Planungswerkzeuge.

𝗪𝗲𝗿 𝗶𝘀𝘁 𝗱𝗲𝗻𝗻 𝗻𝘂𝗻 𝘀𝗰𝗵𝘂𝗹𝗱 𝗮𝗻 𝗱𝗲𝗿 𝗠𝗶𝘀𝗲𝗿𝗲, 𝘄𝗲𝗿 𝗵ä𝘁𝘁𝗲 𝘀𝗶𝗲 𝘃𝗲𝗿𝗵𝗶𝗻𝗱𝗲𝗿𝗻 𝗸ö𝗻𝗻𝗲𝗻?

Das System ist, wie es derzeit ist. Damit müssen wir jetzt alle dealen.

Es ist definitiv verbesserungsfähig. Es müssen andere Strukturen her, die solches Fehlverhalten und Versäumnisse wie wir sie jetzt beobachten – mit Folgen von derartigem Ausmaß über einen solch langen Zeitraum – gar nicht erst ermöglichen.

Nun zählt nur noch die Zukunft, in der die Politik ihre Planungshoheit konsequent nutzt und das Gleichgewicht zwischen Lebensraum und Urlaubsort sichert. Jeder Gemeindepolitiker hat sich hier auf das „Streben nach Gemeinwohl“ vereidigen lassen.

Landrat Lorenzen (CDU) hat sich in der Sylter Rundschau vor mehr als zwei Jahren deutlich ausgedrückt: „Tourismus ist kein Selbstzweck, auch die Einwohnerinnen und Einwohner müssen sich wohlfühlen.“

Jeder einzelne Eigentümer oder Käufer von Grund und Boden muss seine Angelegenheiten prüfen oder in Ordnung bringen, dazu nützt eine Anfrage ans örtliche Bauamt.

Jede Bürgerin, jeder Bürger, muss von nun an im Blick behalten, was politisch passiert, damit ein „besseres Sylt“ für alle am Ende des Aufräumprozesses dabei herauskommt. Für uns und unsere Gäste.

Ende des Interviews

Nun wird sich zeigen, ob es den Insel-Funktionären wieder einmal gelingen wird, beim Kreis die dringend notwendige Bereinigung illegaler Ferienvermietungen doch noch abzubiegen und es beim Staus quo zu belassen.

Quelle: Sylter Rundschau/DerSpiegel/BI Merret reichts

Seltene Meeresschildkröte lebend bei Hörnum geborgen

Sylt/Hörnum

Am kürzesten Tag des Jahres, also dem 21.12.2023 meldete ein Strandläufer gegen 15:15 Uhr bei heftigem Nordweststurm den Fund einer lebenden Schildkröte am Strand bei Gurtdeel (Hörnum).

Dank des Netzwerkes von Schutzstation Wattenmeer und Sylter Seehundjägern konnte sehr schnell gehandelt werden. Die Telefone liefen heiss zwischen Biologen aus Sylt, Hamburg, Belgien und Stralsund um herauszufinden, wie mit dem selten Gast umzugehen ist um ihn am Leben zu halten. Am Ende war klar: Es handelt sich um eine Unechte Karettschildkröte (Caretta caretta). Diese Tiere leben normalerweise in warmen Gewässern des Mittelmeeres und des Atlantiks, kommen aber mit dem Golfstrom auch hin und wieder hoch in den Norden. Die Art ist strengstens geschützt (Washingtoner Artenschutzabkommen).

In Belgien war vor rund vier Wochen bereits eine solche Schildkröte am Strand geborgen und in ein Sealife Center gebracht worden. Dort wurde sie verarztet und langsam an wärmere Wassertemperaturen gewöhnt. Das ist entscheidend, da die Schildkröte sonst angesichts des 1-4 Grad kalten Nordseewassers, in dem sich das Tier lange aufhielt, bei plötzlicher Temperaturerhöhung einen Schock erleiden könnte. Die belgische Caretta konnte überleben und ist jetzt der Star im Sealife Center Blankenberge.

Das Tier vom Hörnumer Strand scheint geschwächt und blutet aus dem Schnabel. Die Sylter Seehundjäger brachten die Schildkröte nach Absprache mit dem zuständigen Landesamt erstmal in ein Becken des Sylt-Aquariums. Hier soll sie von Fachleuten untersucht und verarztet werden.

Aktualisierung am 22.12.2023:

Törtel, wie die Meeresschildfkröte inzwischen liebevoll genannt wird, lebt! Sie hat die Sturmnacht im sicheren Sylt Aquarium verbracht, befindet sich in einem kleineren Becken mit kleiner Ruheinsel.
Sie macht laut Aussagen des Aquariumleiters zumindest keinen schlechten Eindruck. Man steht mit der Tierärztlichen Hochschule Hannover telefonisch in Verbindung und auch die Kontakte zu Experten im Ozeaneum Stralsund und Rotterdam stehen zur Verfügung. Einen Fach-Tierarzt, der sich mit Schildkröten auskennt, bekommen sie vor Weihnachten jedoch nicht nach Sylt.

Aktualisierung am 27.12.2023:

Törtel hat die Weihnachtstage gut überstanden. Sie frisst auch mit gutem Appetit. Wie es mit ihr dann weiter geht, wird wohl erst im nächsten Jahr entschieden. Zahlreiche Zoos haben wohl Interesse angemeldet. Sylt Aquarium würde sie selbst gern behaltzen. Wenn sie gesund ist, wäre ich für eine Auswilderung in südlichen Gefilden.


Lothar Koch
Biologe /NaturReporterSylt

Foto: Amelie Gonzales, Schutzstation Wattenmeer

Hinterm Horizont geht’s weiter…

Deutsche Industrieplanung und Nordseeschutz jenseits der 12 Seemeilen Grenze

Wenn der Sylter Rettungsschwimmer Steve auf den Windpark Butendiek blickt, der rund 35 km vom Kampener Strand entfernt steht, kann er sich noch gut an die Vibrationen erinnern, die er 2015 an seinem Rettungsstand spürte, als die 80 Windmühlen in den Meeresboden gerammt wurden. 

Butendiek ist der einzige Offshore Windpark, der von Sylt aus sichtbar ist. Er steht an der Grenze zum Unesco Nationalpark Wattenmeer/Walschutzgebiet, direkt in einem Vogel- und Naturschutzgebiet des Bundes.

Auch wenn manche Sylter immer noch innerlich zusammenzucken, wenn sie bei Sonnenuntergang auf die ästhetische Störung am einst makellosen Horizont blicken, haben sich wohl die meisten Insulaner und Gäste an den Anblick gewöhnt.

Man gewöhnt sich an alles- und was ich nicht weiß macht mich nicht heiss. 

Aber gilt das auch für unsere Tierwelt da draussen: die Seehunde, Kegelrobben, Schweinswale und Meeresvögel? Und würden nicht mehr Bürger besorgt um diese Tierarten sein, wenn ihnen bewusst wäre, was für eine gewaltige Industrieplanung da draussen ansteht und zum Teil bereits in vollem Gange ist?
Ja, wir müssen zügig das globale CO2-Problem in den Griff kriegen-aber ist es weise, alles auf eine „Wind-Karte“ zu setzen und damit die Artenvielfalt der Nordsee aufs Spiel zu setzen?

Butendiek ist nur die sichtbare Spitze eines immer grösser geplanten Netzes von Windparks in der deutschen Nordsee und  den Gewässern der Nachbarstaaten. Das Gebiet jenseits der 12 Seemeilen SH-Landesgrenze untersteht Bundesgesetzen und wird seit jeher als „Ausschliessliche Wirtschaftszone“ (AWZ) bezeichnet.

Ein Begriff der geprägt wurde, als selbst Experten noch glaubten, dass unser Hausmeer nichts weiter als ein  physikalischer Wasserkörper vor unserer Küste ist. Gut genug, um Chemieabfälle, Abwasser von Kommunen, Müll von Schiffen, überflüssiges Öl und anderen Unrat, wie zum Beispiel alte Munition und Sprengstoffe darin zu versenken. Natürlich auch bestens geeignet als Wasserstrasse für Tanker, Containerschiffe und als Fischereigrund, Rohstofflieferant für Öl, Gas und Kies sowie Testgebiet des Militärs.

Die Nordsee- von der Müllkippe zum  gut  erforschten Ökosystem

Inzwischen sind rund 50 Jahre vergangen, in denen das Bewusstsein für die Nordseenatur wuchs- der Begriff AWZ ist jedoch geblieben. Seit Mitte der 1980iger Jahre gab es zahlreiche internationale Nordseeschutzkonferenzen. Diese führten zu nationalen und internationalen Abkommen, die die Nordsee als Ökosystem mit allen darin befindlichen Lebewesen schützen sollen. 

Paradoxerweise erlebten Wissenschaft und Naturschutz einen besonderen Zuwachs an Informationen über die Artenvielfalt und  deren Bedürfnissen und Vernetzungen mit dem Aufkommen der Offshore-Windindustrie. Als diese um die Jahrtausendwende begann, erste Parks in bis zu 30 m tiefem Wasser zu planen, war der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer gerade um das erste europäische Walschutzgebiet westlich von Sylt und Amrum erweitert worden und hielt so die Baumassnahmen auf weiten Abstand zur Küste. 

Ab 2001 waren bereits zahlreiche Offshore-Windparks weiter draussen in Planung und für jeden verlangte das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie eine  Umweltverträglichkeitsstudie. Die grossen Player der Windindustrie wie EON, RWE, EnBW, Vattenfall und viele andere Investoren mussten also ein Heer von Experten beauftragen, um ein genaues Bild der naturkundlichen und meeresökologischen Rahmenbedingungen festzustellen. 

Ökologen, Ozeanographen, Ornithologen, Meeresbiologen, Walforscher und Robbenexperten sorgen seitdem für eine Fülle von Daten und Erkenntnissen, die inzwischen nachgewiesen haben, dass die Nordsee vor unserer Haustür ein sensibles Netzwerk  vieler gesetzlich geschützter Arten und Biotope ist.

Inzwischen gibt es vermutlich wenige heimische Naturbereiche, die einem so intensiven Monitoring unterzogen werden, wie die  Deutsche Bucht. Mit Schiffen, Flugzeugen, Schalldetektoren, Messgeräten, Bodenrobotern, Infrarot Kameras, Sonaren  u.v.a.m. wird die offene Nordsee im Planungsgebiet der Windenergiefirmen minutiös untersucht. Nicht nur im Auftrag der Industrie selbst, sondern auch seitens der zuständigen deutschen Bundesämter, wissenschaftlichen Institute und Universitäten.

Inzwischen stehen hier 1.306 rund 130 m hohe Windmühlen, gebündelt in 24 Windparks. Einer davon, der besagte Butendiek, sogar in einem ausgewiesenen Vogel- und Naturschutzgebiet. Allein diese Menge führt bereits zu zahlreichen Konflikten mit den zu schützenden Artengruppen Wale, Robben, Seetaucher, Meeresenten und dem Ökosystem der südlichen Nordsee an sich, welches sich durch dynamische Schlick- und Sandböden sowie Sandriffbereiche auszeichnet und ausser dem roten Felsen von Helgoland bis zum Bau der Anlagen fast keine festen Substrate aufwies- und damit auch keine felsenähnlichen Strukturen an denen manövrierunfähige Containerschiffe und Tanker zerschellen könnten.

Wird der Nordseeschutz dem Klimaschutz zum Opfer fallen?

Nun aber, so schallt es ziemlich undifferenziert von nationalen Regierungsbänken, einschliesslich des Grünen Wirtschaftsministers, soll der eigentliche Bauboom da draussen hinter dem Horizont erst richtig losgehen. Und bei den anderen Nordseeanrainerstaaten genauso- wenn nicht noch intensiver.

Bis 2045 will allein Deutschland 70 GW Windstrom in der südlichen Nordsee und deutschen Ostsee erzeugen.Das wären bei heutigem Mühlenstandart rund weitere 14.000 Turbinen. Derzeit existieren rund 1.600 Mühlen in beiden Hausmeeren zusammen, die knapp 7.700 MW produzieren. Inzwischen ist in europäischen Planungspapieren sogar von einem 300 GW-Ausbau allein in der Nordsee die Rede. Das wird die Hausmeere für die kommenden 25 Jahre in eine lärmende Dauerbaustelle verwandeln und hörempfindliche Arten wie Robben und Schweinswale besonders hart treffen. Obwohl inzwischen wesentlich leisere Gründungen von Windmühlen möglich und marktreif sind, bleibt die Schwerindustrie bislang beim lautstarken Einhämmern der WKA-Fundamente. 

Die Naturschutzverbände der Nationalpark-Küste sind alarmiert: „Wir sind sehr besorgt, dass die notwendigen Rahmenbedingungen zum Schutz der Artenvielfalt, insbesondere von Meeressäugern und Seevögeln, angesichts des Krisenmodus auf der Strecke bleiben, wenn die Planung der Bundesregierung im Nordseeraum umgesetzt wird“, sagt Kim Detloff vom NABU-Deutschland. 

„Die im neuen Windenergie-auf-See-Gesetz fixierten 70 GW in der deutschen AWZ sind unseres Erachtens nicht annähernd naturverträglich darzustellen“, ergänzt der Biologe. „Die angedachten 300 GW  stellen für uns  sämtliche bisherigen staatlichen naturschutzpolitischen Ziele des Nordseeraumes in Frage. Vor dem Hintergrund, dass aktuell ein LNG-Terminal in den Ostsee-Nationalpark Jasmund bei Rügen genehmigt wurde, befürchten wir nun auch weitere Entwertungen der Meeresschutzgebiete in der Nordsee.“

Dabei steht schon jetzt ein Drittel der Arten in Nord- und Ostsee auf der Roten Liste und internationale Abkommen sowie europäische Richtlinien geben vor, was längst zu tun wäre. Aber statt die Meeresschutzgebiete wirkungsvoll vor Nutzungen zu schützen und optimal auszustatten, sollen nun Umweltstandards weiter aufgeweicht werden.  Wir sägen am eigenen Ast. Das aus dem Weg räumen des Naturschutzes zur Beschleunigung von erneuerbaren Energien wird für nachfolgende Generationen sehr teuer werden. Völlig ignoriert werden die Leistungen natürlicher Kohlenstoffsenken im Meer.

Naturschutzverbände und Wissenschaftler schlagen Alarm

Der NABU hat eine umfassende wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben die nach dem Ampel-Prinzip die Flächen der AWZ hinsichtlich der Naturverträglichkeit von Windparks bewertet. Mit viel „Bauchschmerzen“ bleibt bestenfalls ein  schmaler, grüner Streifen der AWZ zur Energieerzeugung übrig (s.Karte, Bericht). 

Die Studie verdeutlicht, dass die Vorstellung davon, dass am Reissbrett abgezirkelte Schutzgebietsgrenzen ausreichen, um die Populationen bedrohter Tierarten zu sichern eine falsche Hoffnung weckt. Vielmehr handelt es sich bei den Schutzgütern überwiegend um wandernde Arten, die unterschiedliche Aufenthaltsorte im Jahres- und Lebenszyklus nutzen und dazu barrierefreie, ungestörte  Wanderkorridore zwischen den von Ihnen benötigten Biotopen brauchen.

Auch die Meeres-Wissenschaftler schlagen Alarm angesichts des europaweit proklamierten Offshore-Windkraftbooms. Im September 2023 trafen sich rund 200 von Ihnen zu einer Konferenz in Stralsund, die vom Bundesamt für Naturschutz organisiert wurde. Deren Fazit wurde in 52 detaillierten Aktions-Punkten zusammengefasst, die helfen könnten, trotz eines weiteren, sanften Ausbaus der Windenergie, die Artenvielfalt in Nord-und Ostsee zu erhalten.

Das generelle Fazit lautet:

  • Mehr Meeresschutzgebiete ausweisen in denen die Biodiversitätsstrategie der EU wirklich Anwendung findet, wobei 30% der Fläche unter Schutz und 10 % unter strengem Schutz stehen sollte (Null-Nutzung).
  • nur einen naturverträglichen Ausbau der Windenergie genehmigen und
  • dringend die Effekte der Fischerei auf das Meeresökosystem vermindern, wie etwa umweltschädliche Fangmethoden wie Grundschleppnetze langfristig in besonders sensiblen Gebieten zu verbieten

Was ist zu tun? Wer macht es?

Wenn auch sehr spät, haben  Naturschützer und Meereswissenschaftler nun ausreichend detaillierte Vorschläge und Forderungen auf den Tisch gelegt, um den Ausbau der Windkraft auf See in Deutschland in naturverträgliche Bahnen zu lenken. Angesichts der des gewaltigen Zeitdrucks, der seitens der Politik und verschiedener Interessengruppen zum Thema Klimaschutz aufgebaut wird ist jedoch kaum damit zu rechnen, dass diese noch rechtzeitig und voll umfassend umgesetzt werden.
Dabei ist es einfach unklug  und alles andere als nachhaltig, die Klimakrise gegen die Biodiversitätskrise auszuspielen. 

Wer aber wird die Forderungen umsetzen? In der Politik sieht es in dieser Hinsicht magerer denn je aus, seit die Grünen sich zur Speerspitze des technologischen Klimaschutzes erklärt haben. Viele hoffen auf die Grüne Umweltministerin Steffi Lemke, die der Meeresnatur stets verbunden war und seit je her eine den Meeresschutz stärkende Position vertritt – aber wird sie sich gegen den Klima- & Wirtschaftsminister Habeck aus der eigenen Partei durchsetzen können?

Einladung zu neuem Denken: AWZ wird MWZ

Ein erster symbolischer Schritt könnte die Umbenennung der „Ausschliesslichen Wirtschaftszone (AWZ)“ in „Marine Wildnis Zone (MWZ)“ sein. Manchmal können so kleine verbale Veränderung ein grundsätzliches Umdenken initiieren. Und genau das ist wohl nötig um aus dem Dilemma Klimaschutz versus Naturschutz herauszukommen. Es braucht ein neues Denken, einen  grundsätzlichen Systemwechsel der zu Energieeinsparung und breiter, landesweiter Diversifizierung alternativer Energien führt. Weg von Gigantomanie an einem Ort hin zu kleineren Lösungen überall. Denn frei nach Einstein können Probleme bekanntlich nicht mittels derselben Denkweisen gelöst werden, die diese Probleme ursprünglich entstehen liessen.